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Mittwoch, 11. September 2013

Plötzlich ist September...


...und alles mit einem Mal anders. Die Luft zu früher Stunde hat eine mir bislang unbekannte, frische Note angenommen und kündigt die neue Jahreszeit an. Aufbruchstimmung. Meine fünf Monate als Stadtschreiberin von Košice sind vorbei. Noch schaue ich mich nach ihnen um und staune darüber, in welch rasendem Tempo sie vorbeigezogen sind. 

Am Morgen meines Auszugs aus dem ungarischen Thália Theater höre ich nach längerer Zeit wieder den Klang der Musikinstrumente aus dem Konservatorium gegenüber meiner Dachwohnung. Aus den geöffneten Fenstern der Klassenräume drängt die Melange aus Geigen und Trompeten zu mir herüber. Das neue Schuljahr hat begonnen. Die Musikkulisse, die mich bis zum Sommer während meines Aufenthaltes hier in Kaschau begleitet hat, ist wieder zum Leben erwacht, nach fast zwei Monaten anhaltendem Dornröschenschlaf. 



Die Sommerpause ist vorüber. Im ungarischen Theater wuseln die Angestellten erneut auf den Gängen. In zwei Tagen wird ein Dramaturg anreisen, sogleich darauf beginnen im Studio die Proben für das nächste Stück. 

Mitten in dem Treiben packe ich die letzten Bücher in meine Kisten und genieße ein letztes Mal den Ausblick auf den Elisabethdom und den Kirchturm des Dominikanerklosters. Die vielen orangefarbenen Dächer mit ihren Schornsteinen werden mir fehlen.


Als ich meine Koffer aus dem Theater trage und ins Auto meines Großvaters lade, bemerke ich die hübsch gekleideten Jungen und Mädchen, die lachend auf dem Schulhof ihre erste Pause nach den langen Sommerferien genießen. Anlässlich dieses ersten Schultags haben sie die schickste Garderobe aus dem Kleiderschrank geholt. Der feierliche Dresscode verstärkt meine ohnehin schon wehmütige Stimmung. 

Mit Berti, dem verschmitzt lächelnden Hausmeister werde ich nun nicht mehr plaudern; die monatlich wechselnden Frisuren der Concierge Valika nicht mehr bestaunen können. Die Angestellten des Theaters sind mir ans Herz gewachsen. Das Leben unter einem Dach mit dieser ungarischen Truppe, deren Sprache ich nicht verstehe, ist mir ein Zuhause geworden. Nun muss ich aufbrechen, Abschied nehmen und wieder einen Neuanfang wagen.

In die Wehmut mischt sich aber auch Freude und Dankbarkeit. Durch den fünfmonatigen Aufenthalt in Košice bekam ich die Gelegenheit diese Stadt, diese Region sowie meine slowakischen Wurzeln neu zu entdecken. Mir werden unvergessliche Momente und Begegnungen mit besonderen Menschen in Erinnerung bleiben.

– Und dabei bleibt noch so Vieles zu entdecken! Fünf Monate reichen kaum aus, über all meine Eindrücke in dieser Stadt zu schreiben. Doch Eines ist sicher: ich komme wieder!

Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank aussprechen an die vielen Menschen, die mir meine Tätigkeit als Stadtschreiberin in Kaschau/Košice ermöglicht haben. An erster Stelle gilt mein Dank dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, welches das Stadtschreiberstipendium vor fünf Jahren ins Leben gerufen hat. Mein besonderer Dank gilt dabei den Mitarbeitern Tanja Krombach und André Werner, die mir bei allen Fragen stets mit Rat und Tat zur Seite standen. Ebenso danke ich der Kulturhauptstadtorganisation Košice 2013, dabei im Speziellen dem Künstleraustauschprogramm K.A.I.R. (Košice Artists in Residence). Dieses hat mich in der Stadt untergebracht und in das soziale Leben integriert. Für den herzlichen Empfang, die professionelle Betreuung und die unermüdliche Unterstützung vor Ort möchte ich Adela Foldynová und Zuzana Kotiková danken. Ohne diese beiden, ihren Freunden und Bekannten wäre mein Aufenthalt nur halb so anregend wie lebendig und mein Tagespensum bei Weitem nicht so ausgefüllt gewesen…


Meinem Freund danke ich für seine kritischen Anmerkungen zu meinen Texten, für seine Geduld und die offenen Ohren zu jeder Tageszeit. Auch danke ich meiner Familie, insbesondere meiner Mutter, für ihre Unterstützung. Ohne die Liste endlos in die Länge ziehen zu wollen, bin ich nicht zuletzt auch den Lesern dankbar: ihre ermutigenden Leserbriefe sowie auch ihre aufmerksamen Hinweise haben mich stets beflügelt!

Danke und Ahoj!

P.S. Košice kehre ich noch nicht den Rücken. Für ein Folgeprojekt werde ich noch ein wenig hier verweilen und stürze mich sogleich voller Begeisterung ins nächste Abenteuer! 

P.P.S. Mehr zum Folgeprojekt sowie zu meinem Aufenthalt in der Kulturhauptstadt zu hören und zu sehen gibt es am 26.09 um 20 Uhr in der Öffentlichen Bibliothek Ján Bocatius, Hviezdoslavova 5. Ich freue mich auf eine persönliche Begegnung!

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Mittwoch, 10. Juli 2013

Wo ist Tony Cragg ?



Neulich lernte ich mitten auf der Fußgängerzone von Košice Jiri Svestka kennen, den Galeristen des britischen Bildhauers und bildenden Künstlers Tony Cragg. 

Der Galerist mit graumeliertem Haar und markanter Brille war etwas in Eile, erklärte mir jedoch in wenigen Sätzen, er bereite die Eröffnungsausstellung Tony Craggs in der Kunsthalle/Hala umenia Košice (HUK) vor. Auch der Künstler selbst werde zu dieser Vernissage anreisen, verriet er und war schon verschwunden.

Alle Kaschauer warten bereits seit Monaten auf diese Eröffnung. Die Kunsthalle/Hala umenia Košice (HUK) ist eines der Schlüsselprojekte des Kulturhauptstadtjahres. Rund 7 Millionen Euro kostete die Verwandlung des maroden Schwimmbads in eine multifunktionale Ausstellungshalle. Seit Jahren war sie ungenutzt. Mehrfach wurde der Eröffnungstermin verschoben. Zunächst verlautete die Firma OHL ŽS zum Start der Umbaumaßnahmen im vergangenen Sommer, sie würde alles daran setzen die Rekonstruktion bis zum Ende des Jahres 2012 fertig zu stellen. Wenig später wurde deutlich, dass der fünfmonatige Zeitplan nicht zu realisieren sei, da die Hallendecke einzubrechen drohte. Der neue Fertigungstermin wurde auf den Frühjahr 2013 verlegt.

Im Mai 2013, zur Blütezeit des Kulturhauptstadtjahres, waren allerdings immer noch deutlich mehr Baggergeräusche als Straßenmusikanten in der Stadt zu vernehmen. Die Parks, der Kasarne/ Kulturpark sowie die Kunsthalle versteckten sich hinter Erdhaufen und Absperrfähnchen. Die Kritik der lokalen Medien nahm stetig zu und die Bürger von Košice bemerkten zähneknirschend, dass man den Touristen in der slowakischen Kulturhauptstadt bislang einzig Baustellen präsentieren könne. 

Entsprechend groß war der Ansturm nun zum Eröffnungstermin der Kunsthalle am vergangenen Mittwoch, dem 3. Juli. Alle kamen. – Alle bis auf Tony Cragg. 

Foto: Michael Graf (archigraf.de)
Gemeinsam mit zwei weiteren internationalen Künstlern ist Tony Cragg der erste, der in der Kunsthalle von Košice ausstellt. Er zählt zu den bedeutendsten und kühnsten Bildhauern der Gegenwart und gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen für seine Arbeit, wie den Turner Prize 1988 und dem Praemium Imperiale 2007. Der gebürtige Liverpooler lebt und arbeitet seit 1977 in Wuppertal. Bis zuletzt war er Rektor an der Düsseldorfer Kunstakademie. Keine Frage, Tony Cragg ist der große Star der neuen Kunsthalle. Nur war von ihm an jenem Abend weit und breit keine Spur. 

Auch ich betrat am Eröffnungstag die fertig restaurierte Kunsthalle zum ersten Mal und lauschte mit gespitzten Ohren den Reaktionen der Besucher. So Vieles war im Vorfeld über die unfertige Kunsthalle berichtet, geschrieben und kritisch bemerkt worden. Was sagten die Leute jetzt?


Zunächst war es – abgesehen von der elektronischen Musik, die durch die Halle schwang – merkwürdig still. Stille – ein gutes Zeichen? Ähnlich der bedächtigen Stille, die eintritt, wenn man nach einer langen Wanderung mit einem gewaltigen Panorama belohnt wird. Dann vernahm ich die erste, fast zögerliche Bemerkung eines mir bekannten Grafikers: „Ich bin wirklich überrascht. Auf den 3-D-Animationen konnte man die Räumlichkeiten der Kunsthalle ja bereits erahnen, aber so beeindruckend hatte ich mir das wirklich nicht vorgestellt!“

Ja, beeindruckend großzügig ist der Ausstellungsraum gestaltet. Dabei sind nicht wenige Elemente der ehemaligen Schwimmhalle erhalten geblieben. Ich stehe auf Zehenspitzen auf der siebten Stufe der Treppe und sehe hinab auf die Startblöcke am Beckenrand. Mein Blick schweift über das 25-Meterbecken, bis hin zur verglasten Wand, die die Sicht auf das glitzernde Türkis des Außenbeckens gewährt. 

Im hohlen Betonbecken sowie in den Seitenflügeln haben einige wenige Skulpturen des Bildhauers Tony Cragg Raum ihre Wirkung auszuüben. Die unzähligen milchigen Glasgefäße verlieren sich fast auf dem grauen Grund. Es scheint, als schwebten sie im Wasser. 


Die Kunsthalle präsentiert zeitgenössische Werke slowakischer sowie internationaler Künstler. Im Gegensatz zu einem Museum wird sie keine eigene Sammlung beherbergen. Hier sollen neben wechselnden Kunstausstellungen auch multimediale Veranstaltungen, Theater- und Tanzaufführungen stattfinden. Ich stelle mir die Halle im Dunkeln vor: eine Lichtshow findet statt. Die Besucher sind um das Becken versammelt. Tänzerinnen in glitzernden blauen Gewändern rauschen bei dramatischer Geigenmusik und Elektrobeats durch die Vertiefung.

Tony Cragg ist zu seiner eigenen Ausstellungseröffnung nicht erschienen. Gerüchte verlauten,
dem Herrn, Jahrgang 1949, sei es schlichtweg zu heiß in Košice. Jiri Svestka verrät mir den wahren Grund seiner Abwesenheit: „Tony meint, er könne nach dem Louvre doch nicht in einem Swimmingpool ausstellen.“ Der tschechische Galerist sagt dies seufzend mit verschränkten Armen, er zieht das Wort S-w-i-m-m-i-n-g-p-o-o-l merkwürdig in die Länge. Svestka wirkt erschöpft. Vermutlich hat er eine Woche erfolgloser Überzeugungsarbeit hinter sich. Hätte eine Ausstellung in einer neuen Kunsthalle in einem entwässerten Hallenbecken wirklich dem Renommee des berühmten Künstlers geschadet? Jiri Svestka zuckt mit den Schultern. 

Wie dem auch sei: Tony ist nicht hier. Vermutlich bastelt er gerade in seiner Wuppertaler Werkstatt an einer neuen Skulptur aus Kunststoff, Glas oder Metall. Ich jedenfalls bin begeistert von dem neuen Raum. Košice hat nun eine eigene Kunsthalle, die bislang erste und einzige auf slowakischem Boden. 

Die Kunsthalle öffnet an sechs Tagen die Woche. Bis auf montags ist sie täglich von 11:00 – 18:00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist bis zum 25.8.2013 kostenlos. Mehr Informationen auf der Homepage. (Schade, bislang nur auf Slowakisch – dabei ist ein internationales Auftreten doch die Basis ihres Konzeptes!)
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Donnerstag, 27. Juni 2013

Mit der Badehose auf zum Mühlengraben



„Fragt man die Bewohner von Košice, was ihnen in ihrer Stadt am meisten fehlt, so lautet ihre Antwort: der Mühlengraben, “ sagt Milan Kolcun und meint damit einen ehemaligen Wasserkanal im Zentrum der Stadt. Der Schriftsteller und Stadtführer kennt die Sehnsüchte der Bewohner wie kein anderer. Kaum einen Kaschauer hat Kolcun noch nicht durch seine Heimatstadt geführt.  

Bei anhaltend 35 C° würde auch ich gerade nichts lieber tun, als meine Badesachen zu packen und mich ins kühle Nass zu stürzen.  Doch die einzige Erfrischung in Fußnähe sind die vielen Springbrunnen auf der Hauptgasse.  

Dabei zeugen historische Bilder und Fotografien noch von einer romantischen Kulisse mit glitzernder Wasseroberfläche am Fuße des Jakab-Palastes. Dieser liegt an der Mühlengasse, eine Querstraße zur Fußgängerpromenade. Ein Fluss mitten im Zentrum? Daran können sich heute nur noch die älteren Generationen erinnern. 

Der Mühlengraben, benannt nach einer Wassermühle, war ein abzweigender Kanal des Flusses Hernad. 1968 wurde das Wasser abgepumpt und die romantische Venedig-Kulisse durch eine Schnellstraße ersetzt. Seitdem dröhnt es pausenlos in der tiefen Mulde, denn die heutige Štefánik-Straße stellt die zentrale Verbindungsstrecke zwischen der Nord- und Südstadt dar.



Als Erholungsgebiete im Zentrum von Košice bleiben den Bewohnern eine Handvoll Parks, die sich, dank einer 6,5 Millionen Euro schweren Rekonstruktion im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms, neuen Bänken, Spielplätzen und Kieswegen erfreuen dürfen.  Der aufwendige Umbau der Parks, der zum Teil Grünflächen mit Betonplatten zudeckte, sorgte für viel Unmut innerhalb der Bevölkerung. 

Auch Zuzana Pacaková, eine der vier Organisatoren des Projektes „Die Rückkehr des Wassers in die Stadt“ (Návrat vody do mesta) steht den Umbauinvestitionen der  Kulturhauptstadt kritisch gegenüber. „Ist ja schön, dass die Parks erneuert werden, aber schade ist, dass das Thema Wasser nicht stattdessen eines der Hauptprojekte der Kulturhauptstadt geworden ist. Das hätte das Gesicht der Stadt wenigstens nachhaltig verändert, “ sagt die 27-Jährige. 

Als Angestellte der Kulturhauptstadtorganisation „Košice 2013“, arbeitet Zuzana für den Projektbereich „Visuelle Kunst“. Gemeinsam mit Peter Radkoff, Inhaber des alternativen Kulturzentrums Tabačka, Peter Vrábeľ, Mitglied der Künstlergruppe Kassaboys, und Peter Kočiš, Gründungsmitglied des Theaterensembles „Na Peróne“ will sie mit ihrem Projekt eine Diskussion anstoßen, die sich sprichwörtlich für die Rückkehr des Wassers in die Stadt einsetzt.

Mit zahlreichen Wassersportarten auf einem kleinen, noch bestehenden Teil des Wasserkanals sowie visuellen Shows, Konzerten und Theaterauftritten holte das vierköpfige Team an diesem Wochenende Tausende Bewohner auf die Straße. Zum ersten Mal seit 1968 wurde hier auf der wichtigen Verbindungsstraße der Verkehr für über 48 Stunden lahm gelegt.



In Zelten diskutierten Vertreter der Stadt, Wassertechniker sowie Bewohner über Möglichkeiten, wie die „Rückkehr des Wassers“ in die Štefánik-Straße realisiert werden könnte. Konkrete architektonische Pläne gibt es dafür zwar schon, doch bislang stoßen sie bei der Stadt aufgrund der hohen Investitionskosten, die bis in die Milliardenhöhe gehen, auf taube Ohren. 

Auch die Bewohner sind eher skeptisch, dass in der Betonmulde irgendwann wieder Wasser fließen wird, obwohl sich eine eindeutige Mehrheit den romantischen Mühlengraben wieder zurückwünscht. „Doch wenn es Schuster, der ehemalige Bürgermeister von Kaschau, nicht geschafft hat, dann schafft es keiner“, lautet die prompte Antwort eines diskutierenden Anwohners. Rudolf Schuster, der zweimal – vor wie nach der Wende – Oberbürgermeister der Stadt Kaschau gewesen ist und in den 1990er Jahren die Innenstadt von Grund auf sanieren ließ, ging das Geld für weitere Rekonstruktionen im Stadtzentrum aus. 

Für Zuzana Pacaková ist das kein Grund aufzugeben. „Dass ähnliche Projekte in Europa bereits erfolgreich umgesetzt werden konnten, zeigt etwa das niederländische Beispiel in einem Stadtviertel der Stadt Utrecht, “ erklärt Pacaková, „Wir orientieren uns an europäischen Städten und wollen damit zeigen:  es ist trotz hoher Kosten möglich.  Doch eine andere Sache zeigen diese Beispiele auch: es gelingt nur durch rege Bürgerbeteiligung.  In ihrer Initiative liegt die treibende Kraft.“

Für das Projekt „Die Rückkehr des Wassers“ ließen sich an diesem Wochenende immerhin Zehntausend Bürger mobilisieren. Zu später Stunde verwandelte sich der sonst menschenleere Betongraben in eine Tanzmeile mit ausgelassen feiernden Jugendlichen zu Elektromusik. Die Post-Romantik des 21. Jahrhunderts…

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Freitag, 17. Mai 2013

Eine Stadt im Festival- und Folklorefieber


Mit dem Monat Mai blüht die Stadt Kaschau plötzlich auf und verleiht ihrem Titel als Kulturhauptstadt alle Ehre. Nichts ist mehr von der grauen Tristesse von Anfang April zu spüren. In der ersten Festivalwoche im Mai rund um den „Tag der Stadt“, tobte das Leben voller Feierlichkeiten. Der 7. Mai erinnert seine Bewohner stolz daran, dass Košice an jenem Tag im Jahre 1369 von König Ludwig von Ungarn einen Siegelbrief erhielt. Dieser Siegelbrief, der bis heute in Košice erhalten ist, gilt als der älteste Wappenbrief einer europäischen Stadt. Bürgermeister Richard Raši verlieh anlässlich dieses Tages die Auszeichnung „Preis der Stadt“ an engagierte Bürger, die sich für ihre Stadt einsetzen, ein sich jährlich wiederholendes Ritual.

Der lange Weg zum finalen Wappen von Košice
Die gesamte Woche habe ich mich mit Folklore-Klängen auf der Hauptflaniermeile von Kaschau berieseln lassen. Die Aufführungen im Rahmen der „Pentapolitana*-Tage“, die im Anschluss an den „Tag der Stadt“ stattfanden, boten weitere Gelegenheiten zu historischen Entdeckungen. Das traditionelle Volksmusikinstrument Zymbal hat mich während eines Auftritts einer Folklore-Tanzgruppe in den Bann gerissen. Dieses in Ostereuropa verbreitete, mit Klöppeln geschlagene Saiteninstrument gehört zur Gruppe der Kastenzythern.

Im Gegensatz zu dem in Deutschland als „Hackbrett“ bekannten Kasteninstrument, steht das Zymbal wie ein Klavier auf Füßen und hat ein Dämpfungspedal. In dieser Form spielt es seit dem 19. Jahrhundert in der osteuropäischen Volksmusik eine bedeutende Rolle. Bis heute ist es kaum aus einer slowakischen oder ungarischen Folklore-Kapelle wegzudenken. Eine kleine Vorführung dieses sonderbaren Instrumentes sowie weitere kleine Entdeckungen finden sich in diesem kurzen Video:



*Pentapolitana ist ein Gemeinschaftsprojekt aus den fünf ostslowakischen Städten Kaschau, Eperies, Bartfeld, Leutschau und Zeben, welches im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Kaschau die enge Zusammenarbeit in kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen in der Region fördert. Vor einem Jahr wurde das Projekt Pentapolitana am 19. Mai 2012 initiiert. Es war der 600. Jahrestag einer Vereinbarung aus dem Jahre 1412, auf dem schon damals ein gemeinsamer Handel sowie wirtschaftlicher und kultureller Austausch zwischen den fünf ostslowakischen Städten besiegelt wurde. Pentapolitana will diese zwischenstädtische Zusammenarbeit erneut aufleben lassen, das touristische sowie wirtschaftliche Potential der Region fördern.

Hier gehts lang zur Homepage für mehr Informationen (englisch)
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Freitag, 3. Mai 2013

Der Fremde auf meiner Etage


Wir sitzen auf der ersten Etage im „Výmenník Važecká“, einem ehemaligen Wärmespeicher im Stadtteil Nad jazerom. Aus dem Erdgeschoss drängen Kinderrufe, Tische und Stühle werden verschoben. Die letzten Vorbereitungen für die Eröffnungsveranstaltung im Kulturzentrum laufen. In wenigen Minuten sollen die Anwohner ihre Vorschläge zum bald entstehenden Kulturprogramm einbringen.

Derweil erkunden einige neugierige Besucher die Dachterrasse des futuristisch anmutenden Betonbaus. Es ist die Eröffnungswoche gleich drei neuer Kulturzentren, und somit eine ganz besondere für Blanka Berkyová, die das Projekt „SPOTs“ bereits im vierten Jahr leitet.

Schon vor meiner Ankunft in Kaschau wurde ich mehrfach auf "SPOTs" hingewiesen, das in der Kulturhauptstadt als DAS Vorzeigeprojekt gilt. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter „SPOTs“? - Es soll Kultur in die Platte bringen, oder anders formuliert: die Siedlungen durch kulturelle und soziale Knotenpunkte - spots - wiederbeleben. Denn die riesigen Betonbausiedlungen erstrecken sich rings um das Stadtzentrum und liegen oft in weiter Ferne des lebendigen Altstadtgeschehens.
 
Endhaltestelle im Stadtviertel Nad jazerom
Seit 2009 baut die Stadt unter Leitung Blanka Berkyovás die ungenutzten Wärmespeicher in den Siedlungen in multifunktionale Kultur- und Medienzentren um. Früher dienten die Häuschen als Wärmeverteiler in den Wohnblocks. Mit dem Wechsel zu neuen Warmwasser- und Heizungstechnologien verloren sie ihre Funktion und verwahrlosten zusehends.

alter Wärmespeicher im Stadtteil Nad jazerom
Die Rekonstruktion der Wärmespeicher, die ihnen neue Form und Farbe verpasst, macht allerdings nur den kleinen sichtbaren Teil des eigentlichen Projektes aus. Weniger erkennbar sind die Veränderungen, die sich innerhalb der Bevölkerung abspielen. „Als wir die erste Ausstellung eines Bewohners, der sich mit Holzschnitzerei beschäftigt, auf die Beine gestellt haben, ist mir bewusst geworden, dass seine Nachbarn überhaupt nicht wussten, wer František Jelonek ist“, erinnert sich die SPOTs-Managerin.

Ausstellung von František Jelonek im Juni 2011 im Wärmespeicher Obrody
František Jelonek. Ein Name, eine anonyme Menschenseele von Hunderten, die in seinem Block leben. Seit über 20 Jahren steht Jeloneks Name auf dem Namensschild an der Tür, doch kaum jemand kannte den Mann mit Brille und grau-melierten Haaren. - Bis zu jenem Tag, als er im ehemaligen Wärmespeicher, wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt, sein geheimes Hobby zum ersten Mal der Öffentlichkeit zur Schau stellte. Seine Nachbarn entdeckten nicht nur die Kunstwerke Jeloneks, sondern auch einen völlig neuen Menschen. „Das war ein Schlüsselmoment für mich“, bemerkt Blanka Berkyová lächelnd. „Da habe ich gedacht: wow, es funktioniert!“

Die Geschichte von František Jelonek ist kein Einzelfall. Nachbarn teilen sich seit einer Ewigkeit denselben Aufzug ohne je ein Wort miteinander gesprochen zu haben. Allein in Jeloneks Wohngebiet, dem Stadtteil West, wurden in den 1960er Jahren 15.000 Wohneinheiten gebaut, die im Schnitt als 4-Personen-Haushalte konzipiert waren. Heute leben hier 41.300 Menschen, meist in völliger Anonymität nebeneinander.

Blick von der Dachterasse des Wärmespeichers Wuppertálska auf die Siedlung KVP
Das Team von Spots will genau diese minimieren und den Bewohnern ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln. 2009 fragte es dazu die Bürger was sie mit den alten Wärmespeichern anstellen würden. So klopfte es auch an der Tür von Klára Fazekasová. Die pensionierte Lehrerin wohnt ihr halbes Leben in der Neustadt von Košice, welche aufgrund der Hanglage auch „Terasa“ genannt wird. „Am dringlichsten benötigten wir einen Raum für unsere Mieterversammlung“, gesteht sie. Bis die Plattenbauten neue Fenster, eine Isolierung und einen neuen Anstrich bekommen, müssen sich die Mieter gemeinsam über die Rekonstruktion einigen. Erst dann verschwindet das hellgraue Betonraster unter neuer Pastellfarbe. „Bislang blieb uns für die Versammlungen nur der Hausflur im Erdgeschoss. Jetzt können wir uns im ehemaligen Wärmespeicher um die Ecke treffen.“ 


Am Anfang vor vier Jahren glaubte kaum ein Bewohner, dass das SPOTs-Projekt funktionieren würde. Die größte Skepsis der Bürger lautete: der Umbau der alten Wärmespeicher und die Instandhaltung eines Kulturzentrums seien viel zu teuer. Man gab dem Projekt maximal ein Jahr Überlebenszeit. „Natürlich gibt es auch heute noch alte Griesgrämer, die sich über die hohen Kosten oder über den Krach bei Fußballwettbewerben beschweren“, sagt Klára Fazekasová und verdreht dabei die Augen. Die Rentnerin gibt mir eindeutig zu verstehen, dass sie keinesfalls zu diesen „alten Nörglern“ zähle.

der erste Wärmespeicher "Obrody", aus dem ein Kulturzentrum entstand
„Wissen Sie, wenn man hier so lange lebt, wird man faul abends in die Stadt zu fahren. Darum bin ich froh, dass wir es jetzt so nah zu kulturellen Veranstaltungen haben“, erzählt die Seniorin weiter. Zwar ist die öffentliche Verkehrsanbindung mit Bus und Tram meist gut zur Innenstadt geregelt. Doch die florierende „Hochkultur“ der Altstadt, die sich im Staatstheater oder im Haus der Künste abspielt, erscheint für viele Bewohner der „Terasa“ schier unerreichbar. – Zu weit klaffen das bunte, quirlige Altstadtleben und das Grau in Grau der Satellitenstädte auseinander.

Die Siedlungsbewohner stellten in den Wärmespeichern hingegen Gitarrenworkshops, Sportturniere, Lesungen, Film- und Theatervorstellungen auf die Beine. Im aktuellen Programm werden auch Trendsportarten wie Tae Bo und Yoga angeboten - selbst im Stadtkern eine Seltenheit - und ein Wärmespeicher verwandelte sich in einen Skatepark.

der Wärmespeicher L'udová dient seit April als  Skatepark im Stadtteil West
Hinter verschlossenen Türen in den Wohnblöcken verbergen sich geheime Kunstschmiede, Dichter, Batikkünstler oder Pflanzenkundler. Das Team von SPOTs sei immer wieder über die vielseitigen handwerklichen Fähigkeiten der Bewohner erstaunt. „Die Bewohner lernen wiederum interessante Künstler kennen, die wir zum Teil aus dem Ausland in die Siedlungen holen“, sagt sie. „So lernen wir gegenseitig voneinander. - Ein dynamischer Prozess.“

Vor dem Projekt „SPOTs“ gab es in den Siedlungen von Košice bereits vereinzelte, selbst initiierte Mütterzentren, Tauschbörsen und Jugendgruppen. „Aber eine derart großflächige Aktion, welche so viele Bürger gezielt integriert, ist mir weder aus der Slowakei, noch aus anderen Ländern bekannt“, sagt die junge Slowakin mit Stolz in der Brust. „SPOTs kann sich als ein Pionierprojekt bezeichnen!"

Bis 2018 bleiben die Häuser in den Händen der Veranstalter der Kulturhauptstadt, die sich um die Organisation der kulturellen Veranstaltungen und Instandhaltung kümmert. Die Projektleiterin hofft, dass sich die Kulturzentren eines Tages autonomisieren. „Vielleicht findet sich tatsächlich eine pfiffige Bürgerinitiative, die die kulturellen Aktivitäten in den Häusern fortsetzen und verbreiten wird.“

Info-Veranstaltung im neuen Wärmespeicher Važecká
Momentan sieht es zumindest im Stadtteil Nad jazerom noch nicht danach aus. Seine Anwohner müssen erst noch mit dem meteoritförmigen Gebäude warmwerden. Abgesehen von einer Gruppe Kinder, die wie magisch von der Kletterwand angezogen ist, kommt noch nicht einmal eine Handvoll Bürger zur Abendveranstaltung. Vielleicht ist das fehlende Interesse an diesem Abend aber auch der „SuperStar“ Gesangshow geschuldet, die in der „Malibu bar“ nebenan ihren eigenen Star auf die Bühne bringt …

ein Ufo ist gelandet - die Phase gegenseitiger Annäherung beginnt


Auszug aus dem Interview mit Blanka Berkyová (slowakisch)

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