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Sonntag, 11. August 2013

Košice 2013 EHMK – eine große Unbekannte


Viereinhalb Monate lebe ich nun schon in Košice. Höchste Zeit darüber zu schreiben, was die Kaschauer wirklich über ihren Titel als Kulturhauptstadt denken. Ein Stimmungsbericht.


Ende März, als ich mitten im trüben Regenwetter mit dem Nachtzug im Bahnhof von Košice landete, war die Stadt in einem schwerfälligen Grau versunken. Die Bahnhofshalle wirkte durch die Großbaustelle wenig einladend (und ist es bis heute noch). Mit dem Auto fuhr mein Großvater Slalom zwischen den vielen Schlaglöchern, die auf der Straße ein lustiges Flicken-Muster gebildet hatten. Der vom harten Winter aufgeplatzte Asphalt sorgte für allgemeine Empörung unter den Einwohnern, die mit wachsender Skepsis beobachteten, was seit Januar in ihrer Stadt vor sich ging.

Auf übergroßen schwarzen Plakaten mit Astronautenfiguren kündigte sich unter dem pinkfarbenen Akronym EHMK (Europäische Kulturhauptstadt Košice) eine große Unbekannte an. Mit diesem Titel verbanden die Einwohner von Košice anfangs die unzähligen Baustellen, die seit Juli letzten Jahres das Stadtbild und die Geräuschkulisse prägten. 

Kein guter Start. Doch vermutlich verankert sich im Gedächtnis der Bürger immer zunächst der Baulärm, der das Kulturhauptstadtjahr ankündigt. Mit Angst und Schrecken bemerkten die Einwohner, dass ihre Straßen und Parks „zerstückelt seien“, als tobe sich gerade ein wild gewordenes Ärzteteam aus Brüssel in ihrer Heimat aus.



Noch bis Ende April waren deutlich mehr Baggergeräusche als Stadtmusikanten zu vernehmen. Die 7,5 Millionen teure Kunsthalle und der Kasarne/Kulturpark, für den allein 24 Millionen Euro aus den Mitteln der EU-Fonds fließen, sind die kostspieligsten Projekte des Jahres. Dass die Umbaumaßnahmen erst im Sommer vergangenen Jahres begannen, sorgte für allgemeines Unverständnis. Mitunter wird die Bergung einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg als Verzögerungsgrund für die beginnenden Arbeiten im Kulturpark genannt.


Doch je öfter Eröffnungstermine verschoben wurden, desto mehr argwöhnten die Einwohner, dass die Projekte dieses Jahr gar nicht mehr fertig gestellt würden. Das über drei Hektar große ehemalige Kasernengelände sollte noch in diesem Sommer in einen Kulturpark umgewandelt werden. Die offizielle Eröffnung wurde vor kurzem erneut auf September verschoben, auch wenn das Festival „Leto v Parku“ (Sommer im Park) auf selbigem Areal bereits seit Anfang August auf vollen Touren läuft. Drei ehemalige Kasernengebäude werden in multifunktionale Räumlichkeiten für Kunst, Tanz und Theater umfunktioniert. Zudem sollen Nachwuchskünstler und junge Kreative dort bald zu günstigen Tarifen Büros und Ateliers mieten können. Gleich vor Ort sollen sie Ideen austauschen, Netzwerke bilden.

So einfach und vielversprechend das klingt, so wenig können in Wahrheit alteingesessene Einwohner mit Termini wie „Kulturinkubator“ oder „Kulturpark“ anfangen. Neulich wurde ich Zeugin einer heftigen Debatte über den Unsinn, einer Ausstellungshalle in der Ostslowakei den deutschsprachigen Namen „Kunsthalle“ zu geben, wo doch die große Bevölkerungsmehrheit mit diesem Begriff nichts anfangen könne. Ich verteidigte daraufhin die „Kunsthalle“ mit aller Vehemenz, trägt sie doch den international üblichen Titel einer Galerie mit wechselnden Ausstellungen ohne hauseigener Kunstsammlung. Doch das wollten meine Gesprächspartner schon gar nicht mehr hören. 

Die häufig wiederkehrende Schelte der lokalen Bevölkerung lautet, die Aktivitäten der Kulturhauptstadt seien auf die Mitarbeiter des Organisationsteams zugeschnitten, statt auf die Interessen und Bedürfnisse der Einwohner einzugehen. „Da hat man irgendwelche Clowns an Positionen gesetzt, die gar keine Ahnung haben von den Menschen in Košice und von der Geschichte der Stadt“, höre ich hier des Öfteren. Die wachsende Distanz zwischen „denen“ und „uns Bürgern“ ist spürbar. Viele Menschen vor Ort fühlen sich schlichtweg nicht integriert oder angesprochen vom Programm der Kulturhauptstadt.

Die multikulturelle Stadt Košice. So gern sie dieses Bild von sich verkauft, so unsichtbar sind einige hier lebende Minderheiten auf den städtischen Bühnen. Nach Veranstaltungen zur deutschen und ungarischen Geschichte der Stadt sucht man vergeblich im offiziellen „Programm booklet 2013“. Dabei ist bekannt, dass die Stadt Košice seit dem 11. Jahrhundert dem Ungarischen Königreich angehörte, und das bis ins Jahr 1918. Die „villa Cassa“, die 1230 erstmalig urkundlich erwähnt wird, ist aus einer slawischen/slowakischen und einer deutsch-flämischen Siedlung entstanden. Von der Geschichte der deutschen Siedler in der mittelalterlichen Stadt Kaschau und ihrer Bedeutung weiß heute kaum jemand.

Im August des Jahres 2013 schreitet das Kulturhauptstadtjahr allmählich auf sein letztes Drittel zu. Nicht nur Menschen unter den älteren Generationen, selbst viele junge Kreative fragen sich ernsthaft: „Was wird mit all den neu initiierten Projekten nach Ablauf des Jahres 2013 geschehen?“ Sie befürchten, dass die „nachhaltigen“ Projekte, wie die Verwandlung alter Wärmespeicher in Kulturzentren, nach Ablauf des Jahres wieder ungenutzt sein werden.

Ein ehemaliger Pferdestall wird zur Galerie im Kasarne/Kulturpark

Kaum jemand der Einwohner traut der Stadtverwaltung zu, die vielen neuen kulturellen Gebäude, die der Öffentlichkeit dienen sollen, langfristig finanzieren und mit Leben füllen zu können.

Woher kommt diese große Skepsis der Bürger von Košice? Warum sind sie so wenig enthusiastisch?  

neues Kulturzentrum Važecká
Die Angst vor neuartigen Projekten, die in dieser Form erstmalig auf slowakischen Boden entstanden, ist verständlich. Nirgendwo sonst glitzern gläserne Pavillons auf einem ehemaligen Kasernengelände, in dem nun Workshops für Laienkünstler stattfinden werden. Nirgendwo sonst landete ein Asteroid in einer Plattenbausiedlung am See. Nirgendwo sonst planschen in einem ehemaligen Schwimmbecken Skulpturen namhafter Künstler.

Das alles ist ein Novum, eine große Unbekannte. Die Stadt verändert ihr Gesicht in diesem einen Jahr so rasant wie noch nie zuvor. Kaschau und ihre Menschen gehen ein echtes Wagnis ein, obgleich ein großes Misstrauen vorherrscht gegenüber der Politik, dem Staat sowie der Administration – nicht zuletzt zählt für die Bürger auch die kulturelle Non-Profit-Organisation Košice 2013 EHMK dazu. Dieses starke Misstrauen gegenüber den Obrigkeiten ist sicherlich historisch bedingt. Über 40 Jahre Kommunismus hinterlassen auch 23 Jahre nach dem Zusammenfall des Ostblocks seine Spuren. 

Die Skepsis der Menschen gegenüber staatlichen Organisationen findet man vermutlich in der ganzen Slowakei. Doch speziell in Košice hat sie einen noch pikanteren Beigeschmack: Gerade die älteren Einwohner von Kaschau gehörten in ihrem einen Leben gleich mehreren politischen Systemen an. Da wird sie das Kulturhauptstadtjahr auch nicht mehr von den Socken reißen. Meine Großmutter sagte einmal: „Unsere Familie lebte in fünf Republiken: wir waren zunächst Ungarn, dann für kurze Zeit Tschechoslowaken, später wurden wir wieder zu Ungarn. Irgendwann plötzlich waren wir nicht mehr erwünscht. Schließlich waren wir alle gleich und jetzt sind wir alle frei.“ Wer so viele politische Umbrüche und Regimewechsel miterlebte, ohne sich dabei auch nur einen Schritt vom Fleck zu bewegen, dem sei ein Hang zur Skepsis und etwas mehr Eingewöhnungszeit gewährt…

Über die Skepsis siegte zuletzt doch die Neugier: Am 3. August, dem Auftakt des Sommerfestivals „Leto v Parku“ (Sommer im Park), drängten sich zweitausend Einwohner auf dem ehemaligen Kasernengelände, dem neuen Kulturpark. Die Musik der Bands lockte sie auf den großzügigen Platz, die Wiesen sowie in die frischrenovierten Hallen und Ausstellungsräume. Mit einem derartigen massenhaften Andrang hatten die Organisatoren selbst nicht gerechnet. 

Den Kaschauern wünsche ich, dass ihr Wagnis gelinge und sie lange noch vom Kulturhauptstadtjahr profitieren werden. Vieles verändert sich, so viel Neues ist hier möglich. Das spüre ich täglich. Um mit den Worten des römischen Kaisers Marc Aurel (121-180) abzuschließen: Das Universum ist Veränderung, unser Leben ist, was wir daraus machen...“




Nachtrag

Das Festival „Sommer im Park“ ereignet sich in Košice bereits das fünfte Mal in Folge, diesmal erstmalig auf dem rekonstruierten Gelände des Kasarne/Kulturparks. Zahlreiche Konzerte sowie Filmvorführungen, Theater- und Literaturveranstaltungen finden vom 3. bis zum 25. August statt. (Programm des Festivals.) 

(lediglich auf Slowakisch - schade, dass es für Schlüsselprojekte der Kulturhauptstadt, wie Kasarne/Kulturpark oder die Kunsthalle Košice (HUK), keine englischsprachigen Internetauftritte gibt!)

Der Kasarne/Kulturpark (kurz vor der Eröffnung)
 

 


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Sonntag, 7. April 2013

Mit fremden Augen


Ich gebe zu, in die Vorfreude auf meine neue Tätigkeit als Stadtschreiberin mischte sich auch die Befürchtung, Dinge zu übersehen, die mir womöglich gewöhnlich erscheinen. Schließlich habe ich Košice von klein auf jedes Jahr besucht. Doch bereits nach den ersten Tagen muss ich feststellen: ich bin selbst eine Fremde in meiner Geburtsstadt. 

Während der schier nie enden wollenden Autofahrten in die Slowakei beobachtete ich als Kind die auf der Fensterscheibe entlangrinnenden Regentropfen. Denn nach 14 Stunden Autofahrt war jede Bewegung faszinierend. Dann plötzlich erschienen die ersten riesigen Reklametafeln. Gelbe, bis in den Himmel ragende Straßenlaternen, die die Fassaden der grauen Betonklötze in ein grelles Licht tauchten, hießen uns willkommen. 

Über all die Jahre blieb der erste Eindruck Košices unverändert: das rauchende Stahlwerk, sechsspurige, leere Straßen bei Nacht, das „Amphitheater“ – eine mit bunten Stühlen bestückte halbrunde Sitzanlage aus den 1950ern –  all das glitt schemenhaft an mir vorüber. Auch bewegte ich mich nicht selbständig in der Stadt, nein ich wurde bewegt, von der einer Oma zur anderen bugsiert und mit all den süßen Sünden wie „vanilkové rohlíčky“ oder „rumové mesiačiky“ verköstigt.

Gestern, heute, diese Woche ist es nun anders. Ich entdecke die Stadt für mich neu. Es ist, als würde jemand nach und nach die fehlenden Teile der Karte aufdecken, die mir bislang als Terra incognita verborgen blieben. Die Bilder fügen sich zusammen, Orte bekommen ihre Namen, ihre Koordinaten.

Einer dieser Neuentdeckungen ist das Ostslowakische Museum auf dem Platz des Friedensmarathons in Košice. In dem imposanten Bau der Neorenaissance befinden sich auf mehreren Etagen Exponate zur Geschichte der Ostslowakei sowie die Schatzkammer der Stadt. Ehrlichgesagt habe ich das Gebäude noch nie betreten, aus Angst vor übergroßen Jesuskreuzen und mit Holzwürmern zerfressenen Marienstatuen.

Nun locken mich, wie auch viele andere Kunstinteressierte, Fotografien französischer Künstlerinnen in das Museum. Die Ausstellung „Un petit Journal“  (Ein kleines Tagebuch), die noch bis zum 30. April zu sehen ist, ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den beiden diesjährigen Kulturhauptstädten Košice und Marseille.


Die Fotografien der anwesenden Künstlerinnen Suzanne Hetzel, Anne Laubet und Flore Gaulmier werfen einen Blick hinter die Kulissen von Košice. Ihre Außensicht übt eine besondere Anziehungskraft auf die neugierigen Besucher aus. - Vielleicht ist es eine Art innerer Voyeurismus? „Was sehen diese fremden Künstlerinnen aus Marseille in meiner Heimat, die mir manchmal so trist und trivial erscheint?“, fragt sich der Besucher.

Der Marseillerin Flore Gaulmier fielen auf ihren nächtlichen Streifzügen durch Einkaufsstraßen die Vitrinen mit Dessous-Mode ins Auge. Nachts erwachen die Schaufenster zum Leben. Die leicht bekleideten Puppen inszenieren sich selbst auf ihren ausgeleuchteten Bühnen… 


In den Vororten von Košice entdeckte Gaulmier in grellen Pastelltönen gestrichene Einfamilienhäuser. Über Geschmack lässt sich streiten. Die Fotografin betont, ihr gefielen die einzigartigen Fassaden. Ein Besucher scherzt dagegen, die schrillen Farben seien einfach billiger. 



Die Fotografin Anne Laubet inspirierten wiederum die Plattenbausiedlungen, die den historischen Stadtkern wie ein Ring umsäumen. Anders als in Marseille, lebt in Košice der Großteil der Bevölkerung in Plattenbausiedlungen. „Während in Frankreich kaum mehr über deine Herkunft verrät, als dein Wohnviertel, kannst du in Košice darüber wirklich keine Schlüsse ziehen.“  

Die Koexistenz vom kommunistischen Erbe und kapitalistischen Hauruckaktionen werden insbesondere in den Wohnsiedlungen deutlich, so Anne Laubet. Gläserne Shopping-Malls wie Optima und Aupark sprossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden, während die Plattenbausiedlungen weitestgehend in ihrem ursprünglichen Zustand geblieben sind.
 


Auch Adéla Foldynová, meine Begleiterin auf der Vernissage, schätzt „den fremden Blick“ auf die Kulturhauptstadt. Als Leiterin von K.A.I.R. – Košice Artist in Residence, einem interkulturellen Austauschprogramm für Nachwuchskünstler, bemerkt sie, welchen Mehrwert die Außensicht von ausländischen Künstler  auf Košice habe. Die Auseinandersetzung der Künstler mit der Stadt und ihrer Bevölkerung verändere manchmal den Blickwinkel der Košicianer auf vermeintlich Bekanntes.  

Zum Ende der Vernissage erweitern die Marseiller Künstlerinnen dann noch ihre provenzalischen Weinkenntnisse um slowakischen Rotwein – auch eine Möglichkeit des interkulturellen Austausches…
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