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Dienstag, 23. Juli 2013

MAZAL TOV ?


„Hier ist es", sagt Milan Kolcun und schreitet zielstrebig durch Bauschutt und wildes Gestrüpp auf eine ockerfarbene Steinmauer des ehemaligen jüdischen Wohnhauses zu. Es gehört zum zweigliedrigen Innenhofkomplex der Jüdischen Gemeinde in Kaschau. Milan hält vor einer alten, dunkelbraunen Tür inne, deren Zugang von einem Stapel querliegender Holzlatten versperrt ist. Hinter dieser Tür soll sie sich also wirklich befinden, die Mikwe?

Vor kurzem las ich nahezu ungläubig, dass sich in Kaschau eine Mikwe, das rituelle jüdische Tauchbad, befinden soll. Ein solches Bad wäre mir doch sicher bereits aufgefallen, dachte ich und fragte den Kaschauer Schriftsteller und Stadtführer Milan Kolcun um Rat.


Dieser tippt die rechte Seite der hölzernen Doppeltür leicht an. Zu meiner Überraschung öffnet sie sich mühelos. Wir steigen nacheinander über den meterhohen Holzstapel und betreten einen engen Flur. Nur durch ein kleines quadratisches Fenster dringt ein Lichtstrahl in den dunklen Gang. Ein modriger, feuchter Kellergeruch steigt mir in die Nase. In der Ecke fällt mein Blick auf eine zerbrochene Scheibe mit hebräischer Aufschrift. 

„Hier geht’s lang", sagt Milan und ist schon im Dunkeln verschwunden. Ich folge ihm hastig, stolpere beinah über die langen, dünnen Rohre, die wild verstreut auf dem Boden liegen. An dem verschlungenen Geländer in wenigen Metern Entfernung finde ich Halt.

Wir tasten uns auf einer Treppe Stufe um Stufe weiter hinunter. Mit jedem Schritt wird es dunkler um uns. Ich stelle mir vor, wie hier früher Männer und Frauen zur rituellen Waschung den Weg herabstiegen. Nach traditionellen Regeln im Judentum sollen Männer das Tauchbad vor dem Sabbat und dem Versöhnungstag Jom Kippur benutzen, Frauen am Vorabend der Hochzeit, nach der Menstruation oder der Geburt eines Kindes. Auch meine Großmutter nahm hier vor ihrer Hochzeit ein Bad.

Da das Wasser im Becken der Mikwe "lebendiges" Wasser sein muss, sind die meisten rituellen Tauchbäder Grundwassermikwen. Ab dem Mittelalter wurden dafür in den jüdischen Wohnvierteln der Städte in den Kellern der Wohnhäuser tiefe Schächte gegraben. Diese Mikwe ist Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden.

Endlich sind wir unten angelangt. Es ist stockduster. Selbst meine eigene Hand kann ich nicht mehr erkennen, mit der ich auf den Auslöser meines Fotoapparates drücke. Der Blitz lässt den finsteren kalten Raum für einen kurzen Moment hell aufleuchten. Ich werfe einen Blick auf den Bildschirm und kann meinen Augen kaum glauben.
 

„In den 1990er Jahren, als das Tauchbad nach der Samtenen Revolution wieder genutzt wurde, füllten offensichtlich ein paar Unerfahrene das Becken mit Warmwasser“, erklärt mein Begleiter. „Die Fliesen begannen daraufhin abzufallen. Seitdem ist es nicht mehr in Benutzung.“ – Und verwahrlost zusehends... 

Wir steigen wieder heraus ans Tageslicht. Milan verabschiedet sich. Ich atme tief durch und bleibe noch ein wenig verloren in dem Hof stehen. Die tiefstehende Sonne scheint auf das Schrägdach des ockerfarbenen Gebetshauses. Es ist menschenleer im Innenhof der Jüdischen Gemeinde. Mir scheint, als sei ich fernab des Stadttreibens, obwohl mich nur eine hohe Mauer von der belebten Glockengasse trennt. Der versteckt gelegene Innenhof im Herzen der Altstadt wirkt auf mich wie eine vergessene Enklave, in dem die Spuren vergangener Zeiten auf jedem Schritt sichtbar werden.


Die Gemeinde ist schwer gezeichnet vom Holocaust. Von den über 15.000 deportierten Juden aus Kaschau und den umliegenden Dörfern, kehrten nach 1945 nur wenige Überlebende zurück. Ein großer Teil wanderte in den Jahren 1948 und 1949 nach Israel aus. Bis heute hat sich die Anzahl der Bewohner jüdischen Glaubens in der Stadt auf etwa 300 reduziert.


In dem kleinen Gebetshaus findet an Freitag- und Samstagabenden der jüdische Gottesdienst statt. - Vorausgesetzt es kommen zehn im religiösen Sinne volljährige männliche Personen zusammen. Nicht immer gelingt das.
Für die wenigen Mitglieder, die regelmäßig zum Gottesdienst erscheinen, reicht der kleine Gebetsraum vollkommen aus. Der letzte Rabbiner Jossi Steiner verließ vor zwei Jahren die Gemeinde. Nun übernimmt Liron Yosef, ein 27-jähriger Medizinstudent aus Israel, übergangsweise den Job.


Die gegenüberstehende Synagoge dient heute nur noch als Ausstellungsraum. Sie ist die älteste, noch erhaltene Synagoge in Kaschau. 1883 wurde sie im maurischen Stil errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie von der Wissenschaftlichen Bibliothek als Buchlager genutzt. Für eine Rekonstruktion des Innenraumes fehlte bislang das Geld. 


Ich stelle mir vor, welch ein buntes Treiben hier im Innenhof noch vor 80 Jahren geherrscht haben muss. Bis heute erinnern die Gebäude entweihter Synagogen, quer verteilt in der Innenstadt, an eine lebendige und vielseitige jüdische Gemeinde.

1841 erhielten Juden erstmalig langfristig Bleiberecht innerhalb des Stadtzentrums. Zwei Jahre später lebten hier bereits 32 jüdische Familien. Die Jüdische Gemeinschaft in Kaschau war nach dem Jahr 1868 in verschiedene Gruppen gegliedert, die orthodoxe, neologische und chassidische Gemeinde. Allein im Jahre 1927 wurden gleich zwei Synagogen in Kaschau feierlich eröffnet. Die erste Synagoge, die 1867 errichtet wurde, existiert heute nicht mehr. Die neologische Synagoge auf der Moyzesova wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Konzerthalle umgebaut. Jene auf der Puškinova ist nach der Renovierung nur noch an großen jüdischen Festtagen im Betrieb.


Das kulturelle jüdische Erbe ist heutzutage nahezu von der Bildfläche verschwunden. Das betonen auch die Organisatoren des MAZAL TOV! Festivals, eines mehrtätigen Festivals jüdischer Kultur. Das diesjährige Festival, welches in Kaschau zum zweiten Mal in Folge stattfand, holte eine ganze Riege berühmter Musiker in die Kulturhauptstadt, wie den Dirigenten und Komponisten Peter Breiner oder den israelischen Sänger und Jazz-Bassisten Avishai Cohen.

Auf der englischsprachigen Internetpräsenz des MAZAL TOV! Festivals schreiben die Organisatoren: „Obwohl die jüdische Minderheit das Leben und die Atmosphäre von Košice maßgeblich beeinflusst hat, ist der Mehrheit der Bewohner das Vorhandensein jüdischer Religion und Kultur weitgehend unbekannt. “

Jana Šargová, die künstlerische Leiterin des MAZAL TOV! Festivals, weist darauf hin, dass das mehrtätige Festival ein erster Schritt sei. Ab Herbst werde mit regelmäßigen Veranstaltungen wie Filmabenden, Ausstellungen und Workshops die jüdische Kultur in der Stadt wiederbelebt. Ziel ist es den Bewohnern die Geschichte dieser Minderheit ins Bewusstsein zu rufen. – Es bleibt nur zu hoffen, dass daraus auch das Bewusstsein heranreift, die zerstörten Grabmäler
zu sanieren und die rituellen Bauwerke zu schützen, um das Andenken an eine fast vergangene kulturgeschichtliche Epoche dieser Stadt zu bewahren...


In dem dreißig Autominuten entfernten Ort Prešov (Eperies), scheint das zumindest teilweise gelungen zu sein. Die entweihte orthodoxe Synagoge wurde 1993 in das Slowakische Nationalmuseum integriert und somit vor dem Abriss geschützt. – Mazal Tov!


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