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Montag, 20. Mai 2013

"Ordensträger guter Arbeit"


Unsere Tour beginnt an einem Eckhaus auf der Hauptgasse, an der Kreuzung zur Alžbetina Straße. Die Fenster sind mit Reklamen beklebt. An der zartrosanen Fassade sind noch die Abrissspuren des ehemaligen Straßenschildes „Leningasse“ deutlich zu erkennen. Es ist offenbar hastig nach der Revolution entfernt worden.  

Das Eckhaus ist jedoch noch aus anderen Gründen interessant. Auf einer kleinen Tafel hinter Plexiglas weist ein Foto aus dem Jahr 1989/90 darauf hin, dass hier die „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (slowakisch Verejnosť proti násiliu, Abk. VPN) und das Prager „Bürgerforum“ ihren regionalen Sitz innehatten. Die im November 1989 gegründete VPN war die zentrale slowakische Oppositionsbewegung gegen das kommunistische Regime zur Zeit der Revolution.

Weiter geht es über den Dominikanerplatz in Richtung Mäsiarska. An der Fassade mit der Hausnummer 32 treffen wir auf eine Tafel mit der Aufschrift „Robotnicky Dom“- Haus der Arbeiter. Wir laufen in Richtung Nordstadt bis zum Torbogen der ehemaligen Tabakfabrik auf der Strojárenská 1. Über dem Eingangstor zum Innenhof des Gebäudekomplexes, welches von der Kaschauer Bevölkerung liebevoll „Tabačka“ genannt wird, erkenne ich den Abdruck des roten Sterns. Merkwürdig, welche Ausstrahlung diese Zeichen haben, die so hastig entfernt werden mussten. Für einen Neuanstrich war dann aber kein Geld mehr…

Wir kehren zurück ins Zentrum entlang der Kováčska (Schmiedergasse), einer Parallelstraße der Hauptgasse, und machen Halt auf der Zvonárska (Glockengasse) 15. Dort finden wir eine Tafel zum Gedenken an den ungarischen Kommunisten Aladár Komját. “In diesem Haus wurde am 11. Februar 1891 der bedeutende, ungarische kommunistische Dichter, Publizist und Revolutionär und Internationalist geboren,“ ist in Großbuchstaben geschrieben. Das schmale Gesicht der Skulptur auf der Tafel und die eingefallenen Augenhöhlen erinnern mich an Giacomettis Bronzeköpfe.

Wenige Schritte entfernt von einer Glocke, schlendern wir durch das mediterrane Flair der Glockengasse. Der nur wenige Meter breite gepflasterte Weg wird gesäumt von pastellfarbenen Häusern aus dem 19. Jahrhundert und der orthodoxen Synagoge aus dem Jahr 1883. Es ist die älteste erhaltene Synagoge Kaschaus. Wir befinden uns im Zentrum des ehemaligen jüdischen Viertels. Auf der Terrasse der Café-Bar „Smelly Cat“ sitzen Krawattenträger mit aufgeschlagenen Zeitungen, ein Trio junger Frauen schlürft ausgelassen an den Strohhalmen ihrer Limonaden. Ein Hauch von Italien oder Südfrankreich umgibt uns und fast wären wir vorbeigelaufen, an den wenig einladenden Vitrinen der Kneipe „Nositel Radu Práce“ - frei übersetzt: "Ordensträger guter Arbeit".


Als wir eintreten in den dunklen Raum, schwebt uns der bleierne Geruch von Bier und Zigarettenqualm entgegen. Meine Augen müssen sich zunächst an das Dunkel gewöhnen. Es ist, als betreten wir eine andere Welt. Ein einsamer Mann mit Schnurrbart sitzt seit sichtlich geraumer Zeit an seinem halbvollen Rotweinglas, den Kopf gestützt auf seinem rechten Ellenbogen. Mit melancholischem Blick hängt er mit seinen Gedanken im Raum, ohne uns zu bemerken. Über ihm an einer Wand ist ein Plakat mit Liedtext und Noten der "Internationale" befestigt, offensichtlich ein Mitbringel aus einer Schule. Daneben hängen Bilder der tschechoslowakischen Präsidenten: Beneš, Gottwald, Zápotocký, Novotoný, Svoboda, Husák und Havel.

Eine Gruppe Männer unterhält sich derweil im Nebenraum angeregt unter bunten Postern von Marx und Engels. Auch sie lassen sich von unserem Besuch nicht stören. Mein Begleiter bemerkt schmunzelnd, wie mir die Kinnlade herunterfällt angesichts der im Raum drapierten Gasmasken und sowjetischen Soldatenuniformen. Selbst die Damentoilette hält Einzug einer roten Fahne.

Die Kellnerin hinter der Theke verkauft uns einen Orangensaft und ein Bier für 80 Cent und erzählt uns, dass diese Kneipe erst seit 2000 existiert. Seither bestücken die Bewohner sie mit nostalgischer Hingabe mit gesammelten Andenken aus dem Eigenheim. Das Ordnungsamt schaut zwar ab und zu vorbei, lässt den Eigentümer aber in Ruhe. Die Verwendung und Verbreitung sichtbarer kommunistischer wie faschistischer Symbole ist bis zu mehrjähriger Haft strafbar, doch „aus Spaß dürfen sie in der Kneipe hängen“, sagt uns die Kellnerin. Ob auch die Stammgäste hier nur aus „Spaß“ einkehren, ist zu bezweifeln. Was zudem ein Bild von Georg W. Bush jr. und seiner Ehefrau mit persönlicher Widmung in der Bar zu suchen hat, konnten wir bis heute nicht genau klären…



Weiß jemand Näheres zu den Gedenkstafeln? Ich freue ich mich auf Kommentare auf diesem Blog oder E-Mails an forbat@kulturforum.info.
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