Sonntag, 19. Mai 2013

Krieg der Sterne in Košice


Man muss nicht lange suchen, um in Košice auf Spuren des Kommunismus zu stoßen. Sie sind allgegenwärtig. Die Plattenbausiedlungen, die sich auf den Hängen rund um den Stadtkessel erstrecken, sind das markanteste Zeugnis ihrer Zeit. Viele Straßennamen oder sogar ganze Bezirke in Košice erinnern an die Ära des Kaltes Kriegs – den „Krieg der Sterne“.

Mein Spaziergang durch den Stadtteil Nad Jazerom gleicht einer Reise durchs Weltall: über den Platz der Kosmonauten gelange ich auf die Raketenstraße, diese führt mich über die Sputnikstraße zum Gagarinplatz. – Von meiner Erkundung auf der Galaktischen Straße habe ich erst kürzlich berichtet.

Die gigantischen Plattenbausiedlungen Lunik I-IX westlich der Altstadt von Košice schossen zwischen 1962 und 1972 aus der Erde. Sie sind benannt nach den sowjetischen Mondsonden, die die Vormachtstellung der UdSSR gegenüber dem kapitalistischen Westen unter Beweis stellen sollten. Auslöser für ihren Bau war die Errichtung des Ostslowakischen Stahlwerks (Východoslovenské železiarne, VSŽ). Das staatliche Unternehmen wurde 1959 gegründet. Der größte Metallurgie-Produzent der Tschechoslowakei beschäftigte zeitweise bis zu 30.000 Arbeiter. Nach der Wende brachte die Regierung Mečiar das Unternehmen mit Korruptionsaffären und Vetternwirtschaft in Verruf. 2000 rettete der Pittsburgher Stahlkonzern U.S. Steel mit seinem Kauf das vor Insolvenz bedrohte Unternehmen. Heute ist U.S. Steel der größte Arbeitgeber in der Ostslowakei.

Die Gründung des Stahlwerks VSŽ ist eng verbunden mit dem starken Bevölkerungswachstum seit 1960. Binnen zehn Jahren sprang die Einwohneranzahl in Košice von 79.400 auf 142.200. Zehntausende Wohneinheiten entstanden im Zuge des gigantischen Wohnbauprogramms, das größte in der Geschichte der Slowakei. Weitere städtische Bauprojekte wurden realisiert. Einkaufszentren, Sport- und Kultureinrichtungen sollten dem „Neuen Menschen“ das Leben in seinem funktionalen Habitat wohnlich gestalten. 


Der 22-tausend Quadratmeter große Betonbau des „Weißen Hauses“, ehemaliger Sitz des regionalen Komitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, thront inmitten des neuen Stadtviertels. Die „am schnellsten wachsende Stadt der Tschechoslowakei“ benötigte nach Ansicht der Kommunisten ein angemessenes repräsentatives Gebäude. Schließlich war man fest davon überzeugt, dass Košice bis zum Millenniumsjahr 300.000 Einwohner zählen würde. - Um 50.000 Menschen sind es tatsächlich weniger.

Der Grundstein des megalomanen Bauprojektes wurde 1979 gelegt und sechs Jahre später konnte das „Weiße Haus“ seine volle Pracht entfalten. Das Interieur mit bordeauxroten Sesselgruppen aus Velours erinnert einprägsam an die einst prunkvolle Ära. Seit der Revolution bezieht das Magistratsgebäude die städtische Verwaltung

In der Altstadt von Košice sind die kommunistischen Spuren weitaus schwieriger aufzusuchen. Peter Cábocky, ein freischaffender Künstler aus Košice, nimmt mich mit auf einen Streifzug durch die historischen Gassen des Stadtzentrums. Hier führen die Relikte aus der kommunistischen Ära ein merkwürdiges Eigenleben, unsichtbar vor dem unaufmerksamen Blick vorbeieilender Passanten.

Fortsetzung folgt...auf  "Ordensträger guter Arbeit"

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Freitag, 17. Mai 2013

Eine Stadt im Festival- und Folklorefieber


Mit dem Monat Mai blüht die Stadt Kaschau plötzlich auf und verleiht ihrem Titel als Kulturhauptstadt alle Ehre. Nichts ist mehr von der grauen Tristesse von Anfang April zu spüren. In der ersten Festivalwoche im Mai rund um den „Tag der Stadt“, tobte das Leben voller Feierlichkeiten. Der 7. Mai erinnert seine Bewohner stolz daran, dass Košice an jenem Tag im Jahre 1369 von König Ludwig von Ungarn einen Siegelbrief erhielt. Dieser Siegelbrief, der bis heute in Košice erhalten ist, gilt als der älteste Wappenbrief einer europäischen Stadt. Bürgermeister Richard Raši verlieh anlässlich dieses Tages die Auszeichnung „Preis der Stadt“ an engagierte Bürger, die sich für ihre Stadt einsetzen, ein sich jährlich wiederholendes Ritual.

Der lange Weg zum finalen Wappen von Košice
Die gesamte Woche habe ich mich mit Folklore-Klängen auf der Hauptflaniermeile von Kaschau berieseln lassen. Die Aufführungen im Rahmen der „Pentapolitana*-Tage“, die im Anschluss an den „Tag der Stadt“ stattfanden, boten weitere Gelegenheiten zu historischen Entdeckungen. Das traditionelle Volksmusikinstrument Zymbal hat mich während eines Auftritts einer Folklore-Tanzgruppe in den Bann gerissen. Dieses in Ostereuropa verbreitete, mit Klöppeln geschlagene Saiteninstrument gehört zur Gruppe der Kastenzythern.

Im Gegensatz zu dem in Deutschland als „Hackbrett“ bekannten Kasteninstrument, steht das Zymbal wie ein Klavier auf Füßen und hat ein Dämpfungspedal. In dieser Form spielt es seit dem 19. Jahrhundert in der osteuropäischen Volksmusik eine bedeutende Rolle. Bis heute ist es kaum aus einer slowakischen oder ungarischen Folklore-Kapelle wegzudenken. Eine kleine Vorführung dieses sonderbaren Instrumentes sowie weitere kleine Entdeckungen finden sich in diesem kurzen Video:



*Pentapolitana ist ein Gemeinschaftsprojekt aus den fünf ostslowakischen Städten Kaschau, Eperies, Bartfeld, Leutschau und Zeben, welches im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Kaschau die enge Zusammenarbeit in kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen in der Region fördert. Vor einem Jahr wurde das Projekt Pentapolitana am 19. Mai 2012 initiiert. Es war der 600. Jahrestag einer Vereinbarung aus dem Jahre 1412, auf dem schon damals ein gemeinsamer Handel sowie wirtschaftlicher und kultureller Austausch zwischen den fünf ostslowakischen Städten besiegelt wurde. Pentapolitana will diese zwischenstädtische Zusammenarbeit erneut aufleben lassen, das touristische sowie wirtschaftliche Potential der Region fördern.

Hier gehts lang zur Homepage für mehr Informationen (englisch)
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Sonntag, 12. Mai 2013

Galaktische Aussichten

Es klopft an der Tür zum Büro des Direktoriums der privaten Schule im Kaschauer Stadtteil Nad jazerom. Die Schuldirektorin seufzt. Es ist bereits das dritte Mal innerhalb fünf Minuten. „Heute ist hier wirklich Tag der offenen Tür“, zischt Anna Koptová und ruft: „Herein!“

Als sie die Person in der Tür erblickt, erhellt sich ihr Ausdruck. „Ah Peter, du bist es!“ Ein junger Mann im schwarzen Pullunder und sorgfältig gebügeltem Hemd betritt den Raum. Stolz legt er ein dunkles Buch auf den Tisch. Es ist seine druckfrische Magisterarbeit in Katholischer Theologie. Ich erhasche einen Blick auf den Buchdeckel: „Matthäusevangelium“ steht dort in goldenen Lettern. Anna Koptová nimmt die Abschlussarbeit behutsam in die Hände, guckt dabei mit leuchtenden Augen abwechselnd zu ihrem ehemaligen Schüler und dann auf den vergoldeten Titel.

- Eine scheinbar banale Situation, der ich zufällig Zeuge werde. Für die beiden aber ist es ein historischer Moment. Denn Peter Gazi, ein angehender Priester, und Anna Koptová, die Schuldirektorin, sind beide slowakische Roma. Der 26-Jährige ist vermutlich der erste, der eine Übersetzung des Matthäusevangeliums in Romani, seiner Muttersprache, zu Stande gebracht hat.

Er zählt zu den wenigen Roma, die in der Slowakei eine akademische Laufbahn eingeschlagen haben. Wie viele es tatsächlich sind, kann keiner genau sagen. Slowakische Behörden führen darüber angeblich keine Statistiken. „In den letzten 60 Jahren können Sie die Studenten mit Roma-Hintergrund an ein paar Händen abzählen“, sagt Anna Koptová. Peter Gazi gehörte zum ersten Abschlussjahrgang des privaten Gymnasiums . „Allein schon für diesen jungen Mann ist es das wert gewesen diese Schule zu eröffnen“, wendet sich die Direktorin an mich.

Obwohl Roma in der Slowakei etwas weniger als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, landen bis zu 85 Prozent der Kinder in Sonderschulen und –klassen für Schüler mit "leichter geistiger Behinderung". Mit der Einschulung in die Sonderschule beginnt der Teufelskreis: welcher Betrieb stellt einen Sonderschüler ein? Und ohne Abitur rückt das Hochschulstudium in weite Ferne. 

Im September 2012 entschied erstmalig ein slowakisches Bezirksgericht im Nordosten des Landes, dass die Einrichtung von Sonderschulklassen für Roma-Kinder an einer Grundschule diskriminierend sei. Viele Schulen verlauten dagegen, das Lernniveau zwischen Roma-Kindern und der Mehrheitsbevölkerung sei zu unterschiedlich, weshalb es unmöglich sei die Kinder gemeinsam zu unterrichten. Roma-Schüler kämen ohne Arbeitsmaterial in die Schule und ihre Körperhygiene läge weit unter der gesellschaftlich verträglichen Norm.

Anna Koptová sagt, sie könne gut verstehen, wenn Eltern nicht wollen, dass ihr Schützling neben einem schmutzigen, von Flöhen befallenen „Zigeuner-Kind“ sitzt. „Aber was wollen wir denn von diesen Kindern erwarten, wenn sie in einem Viertel ohne fließend Wasser und Elektrizität leben?“


An ihrer kleinen Privatschule, das aus der StiftungGood Romani Fairy Kesaj Village Foundation(slowakisch Nadacia Dobrá romská víla Kesaj) hervorgeht, kommen so gut wie alle Schüler aus dem Roma-Ghetto Lunik IX. Nach der Musik- und Kunstschule („Konzervátorim Exnárová“) in Košice, die 1991 etabliert wurde, entstand ihr Gymnasium 2003 als zweite Schule in der Ostslowakei, an der auch auf Romani unterrichtet wird. An Anna Koptovás Gymnasium wurden vor zehn Jahren in einem Pilotprojekt Schulmaterialen auf Romani und ein Lehrplan für Romanesische Sprache und Literatur entwickelt. In den letzten fünf Jahrgängen haben 60 Roma die Schule mit Hochschulreife verlassen. - Eine vergleichsweise hohe Anzahl für ein Gymnasium in der Slowakei. Jana Tesserová, die ehemalige Direktorin des städtischen Gymnasiums Šrobárka in Košice erinnert sich nur an 5-7 Roma-Abiturienten in ihrer 16-jährigen Direktorslaufbahn.

Grundschule und Gymnasium auf der "Galactická"
Doch der kleinen Privatschule, die ironischerweise auf der „Galaktischen Straße“ liegt, mangelt es akut an finanziellen Mitteln: auf den Toiletten tropft der Wasserhahn, Türgriffe hängen lose in schief hängenden Türen und die mobiliare Ausstattung ist auf das Minimalste reduziert. Der staatliche Zuschuss berechnet sich nach der Anzahl der Schüler und diese ist in diesem Jahrgang mit insgesamt 65 Gymnasiasten wahrhaftig sehr gering. 

Pavol Ičo nimmt mich mit in seinen Englischunterricht. Der junge Mann ist eigentlich Sprachwissenschaftler. Zwar hat er bereits jahrelang als Englisch-Übersetzer gearbeitet, doch für seine Lehrtätigkeit holt er noch das benötigte Diplom in Pädagogik nach. 17 Schüler aus der 5.Klasse stellen sich mir vor: „My name is Maria. I am Slovak and I am from Kosice“, sagt ein kleines Mädchen mit dunkler langer gelockter Mähne und Piercing in der Nase. 

Die Mädchen tragen große Reifenohrringe, diese scheinen momentan im Trend zu sein. Nachdem sich die Schüler vorgestellt haben, erzähle ich ihnen auf Englisch von Hamburg: vom Hafen, von Schiffen und der Elbe. Doch das alles scheint selbst mir an diesem Ort weit weg zu sein. Fasziniert lauschen die Kinder meinen Worten und folgen mit den Augen jede meiner Regungen. – Hier bin ich die Fremde. Für Pavol Ičo hingegen ist es schwer, seine Schüler zu bändigen. Cindy spielt pausenlos an ihrem Handy. Richard, ein wesentlich älterer Junge, lässt sich zu keiner einzigen Beteiligung ermuntern. 


Als wir am Ende der Schulstunde den Klassenraum verlassen, wundere ich mich, dass der Lehrer die abgewetzten Hefte wieder einsammelt. „Das Schulmaterial können wir den Kindern nicht mitgeben, die wären nach einer Woche völlig zerschlissen oder gar verschwunden. Eigentlich müssten die Eltern für die Schulbücher aufkommen, das tun sie aber nicht. Deswegen stellt die Schule ihnen die Bücher. Kopien zerreißen oder zerkrümeln sie sofort. Das ist eben ihre Mentalität. Da kann man nichts machen, “ erklärt er mit einem Schulterzucken... Nachdem mich Pavol Ičo vor dem Lehrerzimmer verabschiedet, rufen Maria und ihre Freundinnen auf Wiedersehen und winken mir noch lange durch den Flur hinterher. Auf dem Heimweg frage ich mich, ob die lockige Maria es bis zur Hochschulreife schaffen wird.

Wieder zuhause lässt mich Anna Koptovás Bemerkung über Statistiken der Roma-Abiturienten in der Stadt nicht los. Nachdem ich mich am nächsten Morgen durch etliche Warteschleifen der Kaschauer Verwaltungen telefoniere, setzt mich eine Dame der Schulbehörde darüber in Kenntnis, dass eine nach Ethnien unterteilte Statistik, laut dem neuen Antidiskriminierungsgesetz, verboten sei, und wozu ich das denn überhaupt wissen wolle. Rumms. Das Telefonat ist beendet. 

Peter Gazis Worte von gestern zur Bildungssituation der Roma hallen in meinen Ohren nach: „Es ist so eine tickende Bombe, und ich habe das Gefühl, einige warten nur darauf, dass sie explodiert.“ -

Ich hoffe der Staat nimmt bald Abschied von seiner „Sonderschul-Abschiebemethode“. Schließlich weiß das Land jetzt schon jetzt nicht mehr, wohin mit all seinen „mental retardierten“ Bürgern…

Auf der Internetseite eines Kaschauer Gymnasiums stoße ich auf folgendes Sprichwort: Gibst du einem Mann einen Fisch, nährt er sich einmal. Lehrst Du ihn das Fischen, nährt er sich ein ganzes Leben. (Lao-Tse, 480-390 n. Chr.) - Den Schwierigkeiten zum Trotz ist die Privatschule auf der Galaktischen Straße ein Lichtblick für die Ausbildung der Roma in der Slowakei.

Das Schulsystem in der Slowakei
In der Slowakei besteht zehnjährige Schulpflicht. Die Schüler gehen in den meisten Fällen auf eine neunjährige Grundschule. Nach dem erfolgreichen Abschluss des 9. Schuljahres können sie an einer vier- bis fünfjährigen „Mittelschule“ (Gymnasium) das Abitur absolvieren und im Anschluss studieren. Neben der akademischen Laufbahn gibt es, ähnlich wie im deutschen Schulsystem, weiterführende fachbezogene Schulen, an denen Schüler eine Lehre machen. 

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Dienstag, 7. Mai 2013

Das Tal, in dem einst Kofola floss


Als ich meinem Großvater von unserer Tour am Wochenende im Slowakischen Karst erzähle, leuchten seine Augen. In der Schlucht Zádielska tiesňava hat er sein ganzes Leben verbracht. Es gibt keinen Gipfel, den er nicht erklommen, keine Wand, die er nicht bezwungen hätte. Alte schwarz-weiße Fotos zeigen ihn in abenteuerlichen Posen auf Felsvorsprüngen mit lässig um die Hüften geschlungenem Seil. 

Wenn er nicht mit seiner Klettertruppe unterwegs war, scheuchte er Kinder und Ehefrau bei Morgengrauen aus dem Bett, um ja noch rechtzeitig vor der Mittagssonne auf dem Hochplateau zu picknicken. 
Genau hier, auf 800 Höhenmetern stehe ich nun und lasse mir den Wind durch die Haare wehen. Mein Blick schweift über die tiefe Schlucht hinweg. Auf der anderen Seite wuchert wildes Grün unter den schneeweißen Karstformationen. Mit seinen scharfen Felsen, den dunklen Höhlen und den dicht bewachsenen Hügeln bildet der Nationalpark eine abenteuerlich-romantische Landschaft. Freier ist nur noch der Vogel, der über unseren Köpfen kreist. Das hier könnte auch Kanada oder Neuseeland sein.


Dabei liegt der Nationalpark nur eine halbe Autostunde von Košice entfernt. Vorbei am Stahlwerk U.S. Steel, dem größten Arbeitgeber der Ostslowakei, durch die Dörfer Čečejovce und Mokrance, fahren wir 40 Kilometer auf der Landstraße in Richtung Südwesten, bis sich die bewaldeten Hügel des Slowakischen Erzgebirges aus der flachen Landschaft erheben. In der Ferne thront die Ruine der Burg Tornau (Turniansky hrad) auf einem Hügel in der Form eines spitzen Kegels.

Kurz danach parken wir auf dem Parkplatz einer Raststätte. Auf dem Handy heißt uns das nur fünf Kilometer entfernte Ungarn willkommen. Wir besteigen den steilen Rundweg bis zu den Ruinen der im 14. Jahrhundert erbauten Burg. Sie wurde 200 Jahre später von den Osmanen besetzt und 1848 durch einen Brand zerstört. Oben auf dem Gipfel sieht man durch die ehemaligen Fenster des Gemäuers in das Dorf Turna Podhradie. Auf dem Weg über den Bergkamm begegnet uns eine Eidechse, die sich in der Sonne wärmt. Geduldig lässt sie das Foto-Shooting über sich ergehen.

Nach dem Aufstieg über einen felsigen Weg erreichen wir das Hochplateau Zadielská planina. Zwei Kilometer führt uns der Weg auf der Hochebene über Wiesen entlang exponierter Aussichten in die 300 Meter tief reichende Schlucht. Wir durchqueren märchenhaft düstere Wälder. Kaum eine Menschenseele begegnet uns. Dafür entdecken wir erneut ein seltenes Reptil: ein schwarz-gelb gemusterter Gelbmolch versteckt er sich hinter einem querliegendem Baumstamm unter dem Laub.

Nach drei Stunden Wanderung ist uns der letzte Tropfen Wasser ausgegangen. Jetzt sehnen wir uns nur noch nach einer Kofola, einem aus kommunistischer Ära stammenden Cola-Abklatsch. Das dunkelbraune Brausegetränk entstand in den frühen 1960er Jahren beim tschechoslowakischen Pharmaunternehmen Galena, welches zu jener Zeit eigentlich nur nach einem Verwendungszweck für den Koffein-Überschuss forschte, der bei der Kaffeeröstung entstand. Wundersamer Weise wird die frisch gezapfte Brühe bis heute gern getrunken. Mehr noch: Sie erfreut sich in den letzten Jahren gerade beim jungen Publikum immer größerer Popularität, wie TV-Spots bezeugen, nicht zuletzt auch bei nostalgielüsternen Emigranten aus Deutschland…Als wir eine Einkehrmöglichkeit unweit der Bergsteigerhütte Zádielska Chata erreichen, müssen wir jedoch feststellen, dass es nur Cola, Fanta und Sprite gibt. Dahin mit der Nostalgie!

Die letzte Etappe führt uns durch das kühle Tal entlang des Wasserfalls. Tosend rauscht der Strom durch das enge Tal. An einigen Stellen ist die Schlucht nur zwei Meter breit. Nach einer halben Stunde erreichen wir die aus wenigen kleinen Häusern bestehende Gemeinde Zádiel. Die Dorfältesten ruhen auf den Bänken vor ihren Vorgärten in der untergehenden Sonne. Hühner gackern in den Ställen, Kinder spielen auf der Straße. Ab und zu rollt ein Auto über den Kiesweg. - Die unverkennbare Kulisse slowakischer Idylle an einem Sommerabend.


Wir haben Glück: den 4,5 Kilometer langen Fußmarsch an der Landstraße entlang bis zur Raststätte, an dem wir das Auto abgestellt haben, müssen wir nicht antreten. Ein freundlicher Autofahrer nimmt uns mit zu unserem Ausgangspunkt der Tour. – Doch davon erzähle ich meinem Großvater lieber nichts…



Fotostrecke

  



 


  

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Freitag, 3. Mai 2013

Der Fremde auf meiner Etage


Wir sitzen auf der ersten Etage im „Výmenník Važecká“, einem ehemaligen Wärmespeicher im Stadtteil Nad jazerom. Aus dem Erdgeschoss drängen Kinderrufe, Tische und Stühle werden verschoben. Die letzten Vorbereitungen für die Eröffnungsveranstaltung im Kulturzentrum laufen. In wenigen Minuten sollen die Anwohner ihre Vorschläge zum bald entstehenden Kulturprogramm einbringen.

Derweil erkunden einige neugierige Besucher die Dachterrasse des futuristisch anmutenden Betonbaus. Es ist die Eröffnungswoche gleich drei neuer Kulturzentren, und somit eine ganz besondere für Blanka Berkyová, die das Projekt „SPOTs“ bereits im vierten Jahr leitet.

Schon vor meiner Ankunft in Kaschau wurde ich mehrfach auf "SPOTs" hingewiesen, das in der Kulturhauptstadt als DAS Vorzeigeprojekt gilt. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter „SPOTs“? - Es soll Kultur in die Platte bringen, oder anders formuliert: die Siedlungen durch kulturelle und soziale Knotenpunkte - spots - wiederbeleben. Denn die riesigen Betonbausiedlungen erstrecken sich rings um das Stadtzentrum und liegen oft in weiter Ferne des lebendigen Altstadtgeschehens.
 
Endhaltestelle im Stadtviertel Nad jazerom
Seit 2009 baut die Stadt unter Leitung Blanka Berkyovás die ungenutzten Wärmespeicher in den Siedlungen in multifunktionale Kultur- und Medienzentren um. Früher dienten die Häuschen als Wärmeverteiler in den Wohnblocks. Mit dem Wechsel zu neuen Warmwasser- und Heizungstechnologien verloren sie ihre Funktion und verwahrlosten zusehends.

alter Wärmespeicher im Stadtteil Nad jazerom
Die Rekonstruktion der Wärmespeicher, die ihnen neue Form und Farbe verpasst, macht allerdings nur den kleinen sichtbaren Teil des eigentlichen Projektes aus. Weniger erkennbar sind die Veränderungen, die sich innerhalb der Bevölkerung abspielen. „Als wir die erste Ausstellung eines Bewohners, der sich mit Holzschnitzerei beschäftigt, auf die Beine gestellt haben, ist mir bewusst geworden, dass seine Nachbarn überhaupt nicht wussten, wer František Jelonek ist“, erinnert sich die SPOTs-Managerin.

Ausstellung von František Jelonek im Juni 2011 im Wärmespeicher Obrody
František Jelonek. Ein Name, eine anonyme Menschenseele von Hunderten, die in seinem Block leben. Seit über 20 Jahren steht Jeloneks Name auf dem Namensschild an der Tür, doch kaum jemand kannte den Mann mit Brille und grau-melierten Haaren. - Bis zu jenem Tag, als er im ehemaligen Wärmespeicher, wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt, sein geheimes Hobby zum ersten Mal der Öffentlichkeit zur Schau stellte. Seine Nachbarn entdeckten nicht nur die Kunstwerke Jeloneks, sondern auch einen völlig neuen Menschen. „Das war ein Schlüsselmoment für mich“, bemerkt Blanka Berkyová lächelnd. „Da habe ich gedacht: wow, es funktioniert!“

Die Geschichte von František Jelonek ist kein Einzelfall. Nachbarn teilen sich seit einer Ewigkeit denselben Aufzug ohne je ein Wort miteinander gesprochen zu haben. Allein in Jeloneks Wohngebiet, dem Stadtteil West, wurden in den 1960er Jahren 15.000 Wohneinheiten gebaut, die im Schnitt als 4-Personen-Haushalte konzipiert waren. Heute leben hier 41.300 Menschen, meist in völliger Anonymität nebeneinander.

Blick von der Dachterasse des Wärmespeichers Wuppertálska auf die Siedlung KVP
Das Team von Spots will genau diese minimieren und den Bewohnern ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln. 2009 fragte es dazu die Bürger was sie mit den alten Wärmespeichern anstellen würden. So klopfte es auch an der Tür von Klára Fazekasová. Die pensionierte Lehrerin wohnt ihr halbes Leben in der Neustadt von Košice, welche aufgrund der Hanglage auch „Terasa“ genannt wird. „Am dringlichsten benötigten wir einen Raum für unsere Mieterversammlung“, gesteht sie. Bis die Plattenbauten neue Fenster, eine Isolierung und einen neuen Anstrich bekommen, müssen sich die Mieter gemeinsam über die Rekonstruktion einigen. Erst dann verschwindet das hellgraue Betonraster unter neuer Pastellfarbe. „Bislang blieb uns für die Versammlungen nur der Hausflur im Erdgeschoss. Jetzt können wir uns im ehemaligen Wärmespeicher um die Ecke treffen.“ 


Am Anfang vor vier Jahren glaubte kaum ein Bewohner, dass das SPOTs-Projekt funktionieren würde. Die größte Skepsis der Bürger lautete: der Umbau der alten Wärmespeicher und die Instandhaltung eines Kulturzentrums seien viel zu teuer. Man gab dem Projekt maximal ein Jahr Überlebenszeit. „Natürlich gibt es auch heute noch alte Griesgrämer, die sich über die hohen Kosten oder über den Krach bei Fußballwettbewerben beschweren“, sagt Klára Fazekasová und verdreht dabei die Augen. Die Rentnerin gibt mir eindeutig zu verstehen, dass sie keinesfalls zu diesen „alten Nörglern“ zähle.

der erste Wärmespeicher "Obrody", aus dem ein Kulturzentrum entstand
„Wissen Sie, wenn man hier so lange lebt, wird man faul abends in die Stadt zu fahren. Darum bin ich froh, dass wir es jetzt so nah zu kulturellen Veranstaltungen haben“, erzählt die Seniorin weiter. Zwar ist die öffentliche Verkehrsanbindung mit Bus und Tram meist gut zur Innenstadt geregelt. Doch die florierende „Hochkultur“ der Altstadt, die sich im Staatstheater oder im Haus der Künste abspielt, erscheint für viele Bewohner der „Terasa“ schier unerreichbar. – Zu weit klaffen das bunte, quirlige Altstadtleben und das Grau in Grau der Satellitenstädte auseinander.

Die Siedlungsbewohner stellten in den Wärmespeichern hingegen Gitarrenworkshops, Sportturniere, Lesungen, Film- und Theatervorstellungen auf die Beine. Im aktuellen Programm werden auch Trendsportarten wie Tae Bo und Yoga angeboten - selbst im Stadtkern eine Seltenheit - und ein Wärmespeicher verwandelte sich in einen Skatepark.

der Wärmespeicher L'udová dient seit April als  Skatepark im Stadtteil West
Hinter verschlossenen Türen in den Wohnblöcken verbergen sich geheime Kunstschmiede, Dichter, Batikkünstler oder Pflanzenkundler. Das Team von SPOTs sei immer wieder über die vielseitigen handwerklichen Fähigkeiten der Bewohner erstaunt. „Die Bewohner lernen wiederum interessante Künstler kennen, die wir zum Teil aus dem Ausland in die Siedlungen holen“, sagt sie. „So lernen wir gegenseitig voneinander. - Ein dynamischer Prozess.“

Vor dem Projekt „SPOTs“ gab es in den Siedlungen von Košice bereits vereinzelte, selbst initiierte Mütterzentren, Tauschbörsen und Jugendgruppen. „Aber eine derart großflächige Aktion, welche so viele Bürger gezielt integriert, ist mir weder aus der Slowakei, noch aus anderen Ländern bekannt“, sagt die junge Slowakin mit Stolz in der Brust. „SPOTs kann sich als ein Pionierprojekt bezeichnen!"

Bis 2018 bleiben die Häuser in den Händen der Veranstalter der Kulturhauptstadt, die sich um die Organisation der kulturellen Veranstaltungen und Instandhaltung kümmert. Die Projektleiterin hofft, dass sich die Kulturzentren eines Tages autonomisieren. „Vielleicht findet sich tatsächlich eine pfiffige Bürgerinitiative, die die kulturellen Aktivitäten in den Häusern fortsetzen und verbreiten wird.“

Info-Veranstaltung im neuen Wärmespeicher Važecká
Momentan sieht es zumindest im Stadtteil Nad jazerom noch nicht danach aus. Seine Anwohner müssen erst noch mit dem meteoritförmigen Gebäude warmwerden. Abgesehen von einer Gruppe Kinder, die wie magisch von der Kletterwand angezogen ist, kommt noch nicht einmal eine Handvoll Bürger zur Abendveranstaltung. Vielleicht ist das fehlende Interesse an diesem Abend aber auch der „SuperStar“ Gesangshow geschuldet, die in der „Malibu bar“ nebenan ihren eigenen Star auf die Bühne bringt …

ein Ufo ist gelandet - die Phase gegenseitiger Annäherung beginnt


Auszug aus dem Interview mit Blanka Berkyová (slowakisch)

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Donnerstag, 2. Mai 2013

Hamburg Nostalgie

Stolze Besitzerin eines Oldtimer-Pegasus

Es gibt einfach nichts Schöneres als bei Sonnenschein und angenehmen 25 Grad auf einem Drahtesel zu sitzen und sich den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen. Dreißig Tage ohne Fahrrad waren schon ganz schön traurig...

Großen Dank an den ehemaligen Besitzer, für dieses großzügige Geschenk! - Eine Hamburgerin hätte man einfach nicht glücklicher machen können!
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