Viereinhalb Monate lebe ich nun
schon in Košice. Höchste Zeit darüber zu schreiben, was die Kaschauer wirklich über ihren Titel als Kulturhauptstadt denken. Ein Stimmungsbericht.
Ende März, als ich mitten im trüben Regenwetter mit dem Nachtzug im Bahnhof von Košice landete, war die Stadt in einem schwerfälligen Grau versunken. Die Bahnhofshalle wirkte durch die Großbaustelle wenig einladend (und ist es bis heute noch). Mit dem Auto fuhr mein Großvater Slalom zwischen den vielen Schlaglöchern, die auf der Straße ein lustiges Flicken-Muster gebildet hatten. Der vom harten Winter aufgeplatzte Asphalt sorgte für allgemeine Empörung unter den Einwohnern, die mit wachsender Skepsis beobachteten, was seit Januar in ihrer Stadt vor sich ging.
Auf übergroßen schwarzen
Plakaten mit Astronautenfiguren kündigte sich unter dem pinkfarbenen Akronym
EHMK (Europäische Kulturhauptstadt Košice) eine große Unbekannte an. Mit diesem
Titel verbanden die Einwohner von Košice anfangs die unzähligen Baustellen, die
seit Juli letzten Jahres das Stadtbild und die Geräuschkulisse prägten.
Kein guter Start. Doch vermutlich
verankert sich im Gedächtnis der Bürger immer zunächst der Baulärm, der das
Kulturhauptstadtjahr ankündigt. Mit Angst und Schrecken bemerkten die Einwohner, dass ihre
Straßen und Parks „zerstückelt seien“, als tobe sich gerade ein wild gewordenes
Ärzteteam aus Brüssel in ihrer Heimat aus.
Noch bis Ende April waren deutlich mehr Baggergeräusche als Stadtmusikanten zu vernehmen. Die 7,5 Millionen teure Kunsthalle und der Kasarne/Kulturpark, für den allein 24 Millionen Euro aus den Mitteln der EU-Fonds fließen, sind die kostspieligsten Projekte des Jahres. Dass die Umbaumaßnahmen erst im Sommer vergangenen Jahres begannen, sorgte für allgemeines Unverständnis. Mitunter wird die Bergung einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg als Verzögerungsgrund für die beginnenden Arbeiten im Kulturpark genannt.
Doch je öfter Eröffnungstermine
verschoben wurden, desto mehr argwöhnten die Einwohner, dass die Projekte dieses
Jahr gar nicht mehr fertig gestellt würden. Das über drei Hektar große ehemalige
Kasernengelände sollte noch in diesem Sommer in einen Kulturpark umgewandelt werden. Die offizielle Eröffnung wurde vor kurzem erneut auf September verschoben, auch
wenn das Festival „Leto v Parku“ (Sommer im Park) auf selbigem Areal bereits seit
Anfang August auf vollen Touren läuft. Drei ehemalige Kasernengebäude werden in
multifunktionale Räumlichkeiten für Kunst, Tanz und Theater umfunktioniert.
Zudem sollen Nachwuchskünstler und junge Kreative dort bald zu günstigen
Tarifen Büros und Ateliers mieten können. Gleich vor Ort sollen sie Ideen
austauschen, Netzwerke bilden.
So einfach und vielversprechend
das klingt, so wenig können in Wahrheit alteingesessene Einwohner mit Termini wie
„Kulturinkubator“ oder „Kulturpark“ anfangen. Neulich wurde ich Zeugin einer
heftigen Debatte über den Unsinn, einer Ausstellungshalle in der Ostslowakei den
deutschsprachigen Namen „Kunsthalle“ zu geben, wo doch die große Bevölkerungsmehrheit
mit diesem Begriff nichts anfangen könne. Ich verteidigte daraufhin die „Kunsthalle“
mit aller Vehemenz, trägt sie doch den international üblichen Titel einer Galerie
mit wechselnden Ausstellungen ohne hauseigener Kunstsammlung. Doch das wollten
meine Gesprächspartner schon gar nicht mehr hören.
Die häufig wiederkehrende Schelte
der lokalen Bevölkerung lautet, die Aktivitäten der Kulturhauptstadt seien auf
die Mitarbeiter des Organisationsteams zugeschnitten, statt auf die Interessen
und Bedürfnisse der Einwohner einzugehen. „Da hat man irgendwelche Clowns an
Positionen gesetzt, die gar keine Ahnung haben von den Menschen in Košice und
von der Geschichte der Stadt“, höre ich hier des Öfteren. Die wachsende Distanz
zwischen „denen“ und „uns Bürgern“ ist spürbar. Viele Menschen vor Ort fühlen
sich schlichtweg nicht integriert oder angesprochen vom Programm der
Kulturhauptstadt.
Die multikulturelle Stadt
Košice. So gern sie dieses Bild von sich verkauft, so unsichtbar sind einige
hier lebende Minderheiten auf den städtischen Bühnen. Nach Veranstaltungen zur
deutschen und ungarischen Geschichte der Stadt sucht man vergeblich
im offiziellen „Programm booklet 2013“. Dabei ist bekannt, dass die Stadt
Košice seit dem 11. Jahrhundert dem Ungarischen Königreich angehörte, und das bis ins Jahr 1918. Die „villa Cassa“, die 1230 erstmalig urkundlich erwähnt wird, ist aus einer slawischen/slowakischen und einer deutsch-flämischen Siedlung
entstanden. Von der Geschichte der deutschen Siedler in der mittelalterlichen Stadt Kaschau und ihrer Bedeutung weiß heute kaum jemand.
Im August des Jahres 2013
schreitet das Kulturhauptstadtjahr allmählich auf sein letztes Drittel zu.
Nicht nur Menschen unter den älteren Generationen, selbst viele junge Kreative fragen
sich ernsthaft: „Was wird mit all den neu initiierten Projekten nach Ablauf des
Jahres 2013 geschehen?“ Sie befürchten, dass die „nachhaltigen“ Projekte, wie
die Verwandlung alter Wärmespeicher in Kulturzentren, nach Ablauf des Jahres wieder ungenutzt sein werden.
Kaum jemand der Einwohner traut der Stadtverwaltung zu, die vielen neuen kulturellen Gebäude, die der Öffentlichkeit dienen sollen, langfristig finanzieren und mit Leben füllen zu können.
Ein ehemaliger Pferdestall wird zur Galerie im Kasarne/Kulturpark |
Kaum jemand der Einwohner traut der Stadtverwaltung zu, die vielen neuen kulturellen Gebäude, die der Öffentlichkeit dienen sollen, langfristig finanzieren und mit Leben füllen zu können.
Woher kommt diese große Skepsis
der Bürger von Košice? Warum sind sie so wenig enthusiastisch?
neues Kulturzentrum Važecká |
Das alles ist ein Novum, eine große Unbekannte. Die Stadt verändert ihr Gesicht in diesem einen Jahr so rasant wie noch nie zuvor. Kaschau und ihre Menschen gehen ein echtes Wagnis ein, obgleich ein großes Misstrauen vorherrscht gegenüber der Politik, dem Staat sowie der Administration – nicht zuletzt zählt für die Bürger auch die kulturelle Non-Profit-Organisation Košice 2013 EHMK dazu. Dieses starke Misstrauen gegenüber den Obrigkeiten ist sicherlich historisch bedingt. Über 40 Jahre Kommunismus hinterlassen auch 23 Jahre nach dem Zusammenfall des Ostblocks seine Spuren.
Die Skepsis der Menschen
gegenüber staatlichen Organisationen findet man vermutlich in der ganzen
Slowakei. Doch speziell in Košice hat sie einen noch pikanteren Beigeschmack:
Gerade die älteren Einwohner von Kaschau gehörten in ihrem einen Leben gleich
mehreren politischen Systemen an. Da wird sie das Kulturhauptstadtjahr auch nicht
mehr von den Socken reißen. Meine Großmutter sagte einmal: „Unsere Familie
lebte in fünf Republiken: wir waren zunächst Ungarn, dann für kurze Zeit Tschechoslowaken,
später wurden wir wieder zu Ungarn. Irgendwann plötzlich waren wir nicht mehr
erwünscht. Schließlich waren wir alle gleich und jetzt sind wir alle frei.“ Wer
so viele politische Umbrüche und Regimewechsel miterlebte, ohne sich dabei auch
nur einen Schritt vom Fleck zu bewegen, dem sei ein Hang zur Skepsis und etwas mehr
Eingewöhnungszeit gewährt…
Über die Skepsis siegte zuletzt doch
die Neugier: Am 3. August, dem Auftakt des Sommerfestivals „Leto v Parku“ (Sommer im Park), drängten sich zweitausend Einwohner auf dem ehemaligen Kasernengelände, dem neuen Kulturpark. Die
Musik der Bands lockte sie auf den großzügigen Platz, die Wiesen sowie in die frischrenovierten Hallen
und Ausstellungsräume. Mit einem derartigen massenhaften Andrang hatten die
Organisatoren selbst nicht gerechnet.
Den Kaschauern wünsche ich, dass ihr Wagnis gelinge und sie lange
noch vom Kulturhauptstadtjahr profitieren werden. Vieles verändert sich, so
viel Neues ist hier möglich. Das spüre ich täglich. Um mit den Worten des
römischen Kaisers Marc Aurel (121-180) abzuschließen: „Das Universum ist
Veränderung, unser Leben ist, was wir daraus machen...“
Nachtrag
Das Festival „Sommer im Park“ ereignet sich in Košice bereits das fünfte Mal in Folge, diesmal erstmalig auf dem rekonstruierten Gelände des Kasarne/Kulturparks. Zahlreiche Konzerte sowie Filmvorführungen, Theater- und Literaturveranstaltungen finden vom 3. bis zum 25. August statt. (Programm des Festivals.)
(lediglich auf Slowakisch - schade, dass es für Schlüsselprojekte der Kulturhauptstadt, wie Kasarne/Kulturpark oder die Kunsthalle Košice (HUK), keine englischsprachigen Internetauftritte gibt!)
Der Kasarne/Kulturpark (kurz vor der Eröffnung)
Das Festival „Sommer im Park“ ereignet sich in Košice bereits das fünfte Mal in Folge, diesmal erstmalig auf dem rekonstruierten Gelände des Kasarne/Kulturparks. Zahlreiche Konzerte sowie Filmvorführungen, Theater- und Literaturveranstaltungen finden vom 3. bis zum 25. August statt. (Programm des Festivals.)
(lediglich auf Slowakisch - schade, dass es für Schlüsselprojekte der Kulturhauptstadt, wie Kasarne/Kulturpark oder die Kunsthalle Košice (HUK), keine englischsprachigen Internetauftritte gibt!)
Der Kasarne/Kulturpark (kurz vor der Eröffnung)