Sonntag, 28. Juli 2013

Kaschauer Slang für Fortgeschrittene


Als ich mich auf die Suche nach noch mehr Kaschauer Mundart begeben wollte und meine Freunde hier in Košice um Hilfe bat, verwiesen mich alle unisono auf den alternativen Stadtführer KSC. Dieser enthält ein Wörterbuch mit der lokalen Umgangssprache, dem „Kaschauer Slang“. 

Leider ist dieses Buch der NGO „Východné pobrežie“ (zu Deutsch: Ostufer) restlos ausverkauft und wird von den wenigen, die noch eines erhaschen konnten, sorgsam gehütet wie ein seltener Schatz. 


Es war eine kleine Odyssee, bis ich das Buch endlich in den Händen halten durfte. Gemeinsam mit meinem Freund Igor Kupec erstellten wir sogleich eine Hitliste. 

Das Ergebnis ist eine kleine Übersicht über die charakteristischsten Begriffe der Kaschauer Mundart,  die man unbedingt benötigt, um hier zu überleben –  wenngleich auch nur hier in Košice...


Eine kleine Lesehilfe:


Z wird weich, stimmhhaft gelesen, wie z.B. Singen, Seele

Č wird wie „Tsch“ gelesen, wie z.B: „Tschechien“

Š wird wie „sch“ gelesen

V wird wie „w“ gelesen

Y wird wie „i“ gelesen

Bei Vokalen mit Akzent ý, á wird die Silbe lang gesprochen

Bei Konsonanten mit Akzent wie ť, ď wird der Buchstabe weich gesprochen „dj“ oder „tj“


ara!                                      Achtung
 
barz                                     ziemlich, ganz schön

Bazmeg City                    so nennen Locals ihre Stadt Košice
                                            (bazmeg, ungarisches Schimpfwort)

bitang                                  gerissener Typ

brika                                   Tram, Straßenbahn

čaja                                     Mädchen, junge Frau, Freundin

čávo                                   junger Typ mit selbstbewusstem Auftreten
                                             und lässigem Gang

das                                      ungefähr

dakus                                 ein bisschen

degeš                                  Idiot

dig                                       schau mal (es folgt etwas Wichtiges)

dzivý/fasa                         cool, genial, großartig

flipovať                               Spaß haben, sich herumtreiben

gádžo                                  urspr. ein Nicht-Rom, ein Bauer

geňo                                    starke Beleidung

hej ne?                                Stimmt’s?/ Ist doch so, oder?

koňar                                  Bürger aus Prešov (für Kaschauer)

lámať čaje                           Frauen anbaggern

lignúť                                  Haushoch verlieren

lóve                                    Geld, Moneten, Knete

mište                                   abgefahren

muka                                   Langeweile

nožkar                               Muckibudentyp, interessiert an Autos
                                             Handys und schönen Frauen 

ojeb                                    Betrug

pecka                                  klasse, spitzenmäßig

šrác                                     Junge, junger Mann

segiň                                    der Arme (mit mitleidigem Unterton)

šupak                                   Versager

šuvix                                     “…das ist noch gar nichts gegen…”

vraňar                                  Kaschauer (Bezeichnung aus Prešov)

VKV                                    Abkürzung: heftiger Wind in Kaschau

zjeb                                     etwas Lustiges


ta                                         meist zu Beginn eines jeden Satzes
                                             halt, tja, Füllwort


Beispiele

Ako sa máš? – Ale, ta!   „Wie geht’s dir? – „Frag lieber nicht.“

Ta de                                    Nein, auf keinen Fall

Ta ne?                                  Ja klar! wörtlich: „Ja, nicht?“

Ta jak!                                  Natürlich

Ta hej, ne?                         Ja klaro! / Ist doch klar, oder?

Ta…                                       Weiß auch nicht

Ta ty tu?                              Du hier?!



Inspiriert von den Texten von Viktor Hvižďák und Juliana Sokolová des Wörterbuchs im alternativen Stadtführer KSC 2010, herausgegeben von „Východné pobrežie“ (Mišo Hudák und Lucia Jarošová). Danke an Juliana und Igor für eure Hilfe!


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Samstag, 27. Juli 2013

Kleine Einführung in die Kaschauer Mundart


Als ich neulich morgens meine Runden im türkisblauen 50-Meter-Becken des Freibads im Kaschauer Stadtpark schwamm, bemerkte ich, dass dies offensichtlich der beste Ort ist, um in die Geheimnisse der lokalen Jugendsprache einzutauchen. 


Zwei Jungs schielten zu einer Gruppe von Mädchen herüber, die in Bikinis am Beckenrand ihre Unterschenkel im kühlen Nass taumeln ließen. « Ta vidiš tam tie dve čaje », („Hey schau mal, die beiden Mädels da“) sagte einer der beiden und stieß seinen Kumpel an. Wenige Minuten später saßen die beiden schon mit am Beckenrand, nur wenige Zentimeter entfernt von ihren weiblichen Altersgenossen.

Diese Szene alltäglicher Annährung versteht nur, wer mit den Worten „Čaja“ (sprich tschája) und  „šrác“ (schrátz) vertraut ist. „Čaja“ bedeutet im Kaschauer Slang « Mädchen » und „šrác“ bedeutet Junge. Die Worte haben nichts mit den eigentlichen slowakischen Begriffen wie dievča (=Mädchen) oder chlapec (=Junge) zu tun. Eher hat der historisch bedingte hohe Anteil ungarischer Muttersprachler in der Stadt sowie das Romani, bzw. das politisch unkorrekte „Zigeunerisch“, die Alltagssprache der Kaschauer beeinflusst. 

Dem Inhalt des Gesprächs am Beckenrand konnte ich nicht wirklich folgen – nur ab und zu drang lautes Kichern zu mir herüber. „Ty kokso!“ prustete ein Mädchen plötzlich hervor. 

Den Ausdruck „Ty kokso“ höre ich hier so gut wie 25 Mal am Tag – zu übersetzen wäre er ungefähr mit „Oh Mann“ oder „Alter“. Welch phänomenalen Aufschwung der Begriff „kokso“ bereits über die Kaschauer Grenzen hinaus genommen hat, beweist im Übrigen auch die slowakische Titelübersetzung eines deutschen Films aus dem vergangenen Jahr. Jan Ole Gersters „Oh Boy“ verwandelten die Slowaken just in „Ty kokso“

Die Internetseite „Necyklopedia.wikia.com“ (leider nur auf Slowakisch) erklärt Begriffe der Kaschauer Mundart. Auf dieser Seite erfahre ich, auf wen sich „Čaja“ in Wirklichkeit bezieht…

„Das Wort „čaja“ hat man sich in Kaschau ausgedacht, um eine Person weiblichen Geschlechts zu bezeichnen, deren Parameter wie folgt lauten: unter 27 Jahre und bis 72,5 Kilo. Auf jeden Fall ist die Bezeichnung „čaja“ Ausdruck von Anerkennung und Hinweis darauf, dass die Person ein gewisses Maß an Respekt, Charme oder Sexappeal besitzt.“

Und wie vermutlich die Parameter für einen echt kernigen „šrác“ lauten, kann ich mir schon fast selbst denken...



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Dienstag, 23. Juli 2013

MAZAL TOV ?


„Hier ist es", sagt Milan Kolcun und schreitet zielstrebig durch Bauschutt und wildes Gestrüpp auf eine ockerfarbene Steinmauer des ehemaligen jüdischen Wohnhauses zu. Es gehört zum zweigliedrigen Innenhofkomplex der Jüdischen Gemeinde in Kaschau. Milan hält vor einer alten, dunkelbraunen Tür inne, deren Zugang von einem Stapel querliegender Holzlatten versperrt ist. Hinter dieser Tür soll sie sich also wirklich befinden, die Mikwe?

Vor kurzem las ich nahezu ungläubig, dass sich in Kaschau eine Mikwe, das rituelle jüdische Tauchbad, befinden soll. Ein solches Bad wäre mir doch sicher bereits aufgefallen, dachte ich und fragte den Kaschauer Schriftsteller und Stadtführer Milan Kolcun um Rat.


Dieser tippt die rechte Seite der hölzernen Doppeltür leicht an. Zu meiner Überraschung öffnet sie sich mühelos. Wir steigen nacheinander über den meterhohen Holzstapel und betreten einen engen Flur. Nur durch ein kleines quadratisches Fenster dringt ein Lichtstrahl in den dunklen Gang. Ein modriger, feuchter Kellergeruch steigt mir in die Nase. In der Ecke fällt mein Blick auf eine zerbrochene Scheibe mit hebräischer Aufschrift. 

„Hier geht’s lang", sagt Milan und ist schon im Dunkeln verschwunden. Ich folge ihm hastig, stolpere beinah über die langen, dünnen Rohre, die wild verstreut auf dem Boden liegen. An dem verschlungenen Geländer in wenigen Metern Entfernung finde ich Halt.

Wir tasten uns auf einer Treppe Stufe um Stufe weiter hinunter. Mit jedem Schritt wird es dunkler um uns. Ich stelle mir vor, wie hier früher Männer und Frauen zur rituellen Waschung den Weg herabstiegen. Nach traditionellen Regeln im Judentum sollen Männer das Tauchbad vor dem Sabbat und dem Versöhnungstag Jom Kippur benutzen, Frauen am Vorabend der Hochzeit, nach der Menstruation oder der Geburt eines Kindes. Auch meine Großmutter nahm hier vor ihrer Hochzeit ein Bad.

Da das Wasser im Becken der Mikwe "lebendiges" Wasser sein muss, sind die meisten rituellen Tauchbäder Grundwassermikwen. Ab dem Mittelalter wurden dafür in den jüdischen Wohnvierteln der Städte in den Kellern der Wohnhäuser tiefe Schächte gegraben. Diese Mikwe ist Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden.

Endlich sind wir unten angelangt. Es ist stockduster. Selbst meine eigene Hand kann ich nicht mehr erkennen, mit der ich auf den Auslöser meines Fotoapparates drücke. Der Blitz lässt den finsteren kalten Raum für einen kurzen Moment hell aufleuchten. Ich werfe einen Blick auf den Bildschirm und kann meinen Augen kaum glauben.
 

„In den 1990er Jahren, als das Tauchbad nach der Samtenen Revolution wieder genutzt wurde, füllten offensichtlich ein paar Unerfahrene das Becken mit Warmwasser“, erklärt mein Begleiter. „Die Fliesen begannen daraufhin abzufallen. Seitdem ist es nicht mehr in Benutzung.“ – Und verwahrlost zusehends... 

Wir steigen wieder heraus ans Tageslicht. Milan verabschiedet sich. Ich atme tief durch und bleibe noch ein wenig verloren in dem Hof stehen. Die tiefstehende Sonne scheint auf das Schrägdach des ockerfarbenen Gebetshauses. Es ist menschenleer im Innenhof der Jüdischen Gemeinde. Mir scheint, als sei ich fernab des Stadttreibens, obwohl mich nur eine hohe Mauer von der belebten Glockengasse trennt. Der versteckt gelegene Innenhof im Herzen der Altstadt wirkt auf mich wie eine vergessene Enklave, in dem die Spuren vergangener Zeiten auf jedem Schritt sichtbar werden.


Die Gemeinde ist schwer gezeichnet vom Holocaust. Von den über 15.000 deportierten Juden aus Kaschau und den umliegenden Dörfern, kehrten nach 1945 nur wenige Überlebende zurück. Ein großer Teil wanderte in den Jahren 1948 und 1949 nach Israel aus. Bis heute hat sich die Anzahl der Bewohner jüdischen Glaubens in der Stadt auf etwa 300 reduziert.


In dem kleinen Gebetshaus findet an Freitag- und Samstagabenden der jüdische Gottesdienst statt. - Vorausgesetzt es kommen zehn im religiösen Sinne volljährige männliche Personen zusammen. Nicht immer gelingt das.
Für die wenigen Mitglieder, die regelmäßig zum Gottesdienst erscheinen, reicht der kleine Gebetsraum vollkommen aus. Der letzte Rabbiner Jossi Steiner verließ vor zwei Jahren die Gemeinde. Nun übernimmt Liron Yosef, ein 27-jähriger Medizinstudent aus Israel, übergangsweise den Job.


Die gegenüberstehende Synagoge dient heute nur noch als Ausstellungsraum. Sie ist die älteste, noch erhaltene Synagoge in Kaschau. 1883 wurde sie im maurischen Stil errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie von der Wissenschaftlichen Bibliothek als Buchlager genutzt. Für eine Rekonstruktion des Innenraumes fehlte bislang das Geld. 


Ich stelle mir vor, welch ein buntes Treiben hier im Innenhof noch vor 80 Jahren geherrscht haben muss. Bis heute erinnern die Gebäude entweihter Synagogen, quer verteilt in der Innenstadt, an eine lebendige und vielseitige jüdische Gemeinde.

1841 erhielten Juden erstmalig langfristig Bleiberecht innerhalb des Stadtzentrums. Zwei Jahre später lebten hier bereits 32 jüdische Familien. Die Jüdische Gemeinschaft in Kaschau war nach dem Jahr 1868 in verschiedene Gruppen gegliedert, die orthodoxe, neologische und chassidische Gemeinde. Allein im Jahre 1927 wurden gleich zwei Synagogen in Kaschau feierlich eröffnet. Die erste Synagoge, die 1867 errichtet wurde, existiert heute nicht mehr. Die neologische Synagoge auf der Moyzesova wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Konzerthalle umgebaut. Jene auf der Puškinova ist nach der Renovierung nur noch an großen jüdischen Festtagen im Betrieb.


Das kulturelle jüdische Erbe ist heutzutage nahezu von der Bildfläche verschwunden. Das betonen auch die Organisatoren des MAZAL TOV! Festivals, eines mehrtätigen Festivals jüdischer Kultur. Das diesjährige Festival, welches in Kaschau zum zweiten Mal in Folge stattfand, holte eine ganze Riege berühmter Musiker in die Kulturhauptstadt, wie den Dirigenten und Komponisten Peter Breiner oder den israelischen Sänger und Jazz-Bassisten Avishai Cohen.

Auf der englischsprachigen Internetpräsenz des MAZAL TOV! Festivals schreiben die Organisatoren: „Obwohl die jüdische Minderheit das Leben und die Atmosphäre von Košice maßgeblich beeinflusst hat, ist der Mehrheit der Bewohner das Vorhandensein jüdischer Religion und Kultur weitgehend unbekannt. “

Jana Šargová, die künstlerische Leiterin des MAZAL TOV! Festivals, weist darauf hin, dass das mehrtätige Festival ein erster Schritt sei. Ab Herbst werde mit regelmäßigen Veranstaltungen wie Filmabenden, Ausstellungen und Workshops die jüdische Kultur in der Stadt wiederbelebt. Ziel ist es den Bewohnern die Geschichte dieser Minderheit ins Bewusstsein zu rufen. – Es bleibt nur zu hoffen, dass daraus auch das Bewusstsein heranreift, die zerstörten Grabmäler
zu sanieren und die rituellen Bauwerke zu schützen, um das Andenken an eine fast vergangene kulturgeschichtliche Epoche dieser Stadt zu bewahren...


In dem dreißig Autominuten entfernten Ort Prešov (Eperies), scheint das zumindest teilweise gelungen zu sein. Die entweihte orthodoxe Synagoge wurde 1993 in das Slowakische Nationalmuseum integriert und somit vor dem Abriss geschützt. – Mazal Tov!


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Mittwoch, 17. Juli 2013

Urwaldfeeling in urbaner Plattenbaukulisse



Regnet es in Košice, entsteht eine einzigartige Atmosphäre. Der Platzregen verdrängt alles andere. Er fegt die restlichen Geräusche und Menschen von der Straße. Urwaldfeeling in urbaner Plattenbaukulisse!



Plötzlich, inmitten des Getöses wird alles andere still und unsichtbar. Die Überquerung einer Straße wird zu einem heroischen Unterfangen. Kraftvoll fallen die Wasserfluten vom Himmel, die dunklen Wolken hängen tief über der Stadt, als hätte sich das Unheil über Košice zusammen gebraut. Dann bricht der Donner über das Tal herein, wie Betonwände nach einer gewaltigen Sprengung.



Und erst die Luft nach dem Regen, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist! Sie riecht anders als in Deutschland –herb, schwer, pikant.


Foto: Dr. Heinz Schleusener (herzlichen Dank dafür!) 
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