Ich blicke über die
Schulter des Busfahrers mit Muskelshirt und Vokuhila auf das gigantische Stahlwerk U.S. Steel, dem größten Arbeitgeber in der
Ostslowakei.
Mit Anja Schaefer, einer deutschen Fotografin und
Residenzkünstlerin in Kaschau, sitze ich in der heißen Mittagssonne in einem
wackeligen Bus mit der Nummer 52. Über Landstraße fahren wir etwa 10 Minuten
südwestlich der Innenstadt nach Šaca (gesprochen:
Schatza), einem Stadtteil von Kaschau.
Kurz darauf steigen wir auf dem Hauptplatz von
Šaca aus. Dieser Industrieort, mit seinen rund 5.700 Einwohnern, scheint einzig
aus zwei Bushaltestellen, einem Wettbüro und aus Wohnungsblöcken zu bestehen. Die
Siedlung ist im Zuge der Errichtung der „Ostslowakischen Stahlwerke in Kaschau“ (heute U.S. Steel) Anfang der 1960er Jahre entstanden. Das Leben in Šaca wird bis heute maßgeblich vom Stahlwerk geprägt.
Mein erster Blick fällt auf das „Hotel Metal“, ein wenig einladender
funktionalistischer Bau, in dem laut Bewohnern seit Ewigkeiten nur ein paar „Langzeit-Zeitarbeiter“
der Stahlfabrik nächtigen. Die 34-jährige Sonja, die in Šaca im Gemeindezentrum
ehrenamtlich arbeitet, führt uns zum „Platz der Stahlarbeiter“ (Námestie Oceliarov).
Hier stehen drei Wohnblöcke nebeneinander, deren Fassaden im Vergleich zu den anderen Mehrfamilienhäusern auffällig vernachlässigt sind. An einigen Stellen kommt der Backstein
zum Vorschein. Jeder Haushalt scheint eine eigene Satellitenschüssel zu besitzen.
Einige Frauen auf dem Hof hängen Wäsche auf Leinen auf und verfolgen uns mit neugierigen
Blicken.
Wir steigen die düstere Treppe hoch in den dreistöckigen Hausflur. „In
diesem Block leben nur Roma. Die Leute im Ort nennen es das Ghetto“, verrät
uns Sonja und hilft einem kleinen Mädchen mit einem
rosa Puppenwagen die Treppe hoch. Ein paar Bewohner sitzen auf Plastikstühlen im kühlen Schatten des dunklen
Flures und
unterhalten sich. Als sie uns erblicken, grüßen sie freundlich und fragen Sonja
auf Romani, woher wir kommen. „Aha, Nemci, Nemci“, sagt eine ältere Dame vielsagend und nickt uns
anerkennend zu.
Wir gehen zu Gabi, den hier jeder kennt. Der
zweifache Vater arbeitet bei U.S. Steel und organisiert Sportveranstaltungen für
Jugendliche in der Bürgerorganisation „Šačansky život“ (Leben in Šaca). „Hier arbeitet
man entweder in der Stahlfabrik oder man ist arbeitslos“, sagt Gabi, der eigentlich
Renée heißt, mit verschränkten tätowierten Armen. Wir sitzen am blitzblanken
Tisch in seiner kleinen Küche. Hinter den weißen Einbauschränken sticht uns das
Giftgrün der Küchenwand entgegen. Im Nebenzimmer, dem einzigen Zimmer in der
kleinen Wohnung, hält sein Sohn gerade Mittagsschlaf.
Gabi präsentiert seine Medaillen und Pokale, die
er beim MFK Košice und FK Šaca gewonnen hat. Sein Vater, ebenfalls ein Arbeiter bei U.S. Steel, war sein eigener Fußballtrainer,
bis er vor acht Jahren nach England "für ein besseres Leben ging“, wie uns der
25-Jährige erklärt. Jetzt hat Gabi, der inzwischen seine eigene Familie
versorgen muss, keine Zeit mehr für eine Fußballkarriere. Dafür geht er
mehrmals die Woche mit seinen Jungs in einem Keller trainieren. Dennoch kommt er
ganz nach seinem Vater und engagiert sich in seinem Heimatort. „Bald planen wir
die nächste Miss Roma Wahl. Komm doch auch vorbei! “
Wenig später besuchen wir Beata, die mit ihren
vier Söhnen und Ehemann Marian in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt. Auch Marian arbeitet im Stahlwerk. Beata hilft zeitweise in einem China-Geschäft aus.
Sie bereitet uns sogleich einen Café und bietet uns an, uns zu setzen. Viele Sitzmöglichkeiten gibt es nicht in dem Raum, außer einem Bett, auf dem alle Matratzen gestapelt sind, einer Computerecke, über der die Fußballpokale Marians hängen, und einem kleinen Couchtisch. „Ich mach’s mir hier auf meinem Stühlchen gemütlich“, sagt Beata vergnügt und nimmt auf der kleinen Musikbox in der Ecke Platz. Die schwarze Lücke zwischen ihren Zähnen blitzt hervor. Kurz darauf erklärt sie mir, dass ihr die 60 € für eine Zahnbehandlung fehlen und sie deshalb lieber warte, bis der Zahn herausfällt, da Prothesen günstiger seien. „Nur schmerzhaft ist die Warterei!“
Sie bereitet uns sogleich einen Café und bietet uns an, uns zu setzen. Viele Sitzmöglichkeiten gibt es nicht in dem Raum, außer einem Bett, auf dem alle Matratzen gestapelt sind, einer Computerecke, über der die Fußballpokale Marians hängen, und einem kleinen Couchtisch. „Ich mach’s mir hier auf meinem Stühlchen gemütlich“, sagt Beata vergnügt und nimmt auf der kleinen Musikbox in der Ecke Platz. Die schwarze Lücke zwischen ihren Zähnen blitzt hervor. Kurz darauf erklärt sie mir, dass ihr die 60 € für eine Zahnbehandlung fehlen und sie deshalb lieber warte, bis der Zahn herausfällt, da Prothesen günstiger seien. „Nur schmerzhaft ist die Warterei!“
Anja Schaefer fotografiert derweil die Details in der Wohnung für ein Kunstprojekt. Die vielen Madonnenfiguren und die bunten Wände fallen sofort ins Auge. Beata entschuldigt sich, dass momentan keine Dekoration im Raum hängt. „Die Wand wartet noch auf ihren zweiten Anstrich.“ Marian, Beatas Ehemann, schaltet indes das Licht in der kleinen Küche aus, nachdem wir dort zu Ende fotografiert haben.
Man spürt, dass die Familie sparsam lebt. Von der
sonst oftmals beklagten „verschwenderischen Art der Zigeuner“ ist zumindest in
diesen vier Wänden nicht viel zu spüren. Ich staune wie ordentlich der Sechs-Personen-Haushalt
auf kaum Zwanzig Quadratmeter Wohnfläche lebt.
Während Anja munter weiter fotografiert, empört
sich die sonst gut gelaunte Beata, dass sie zu jedem Jahresende eine Rechnung
mit einer hohen Wassernachzahlung erhalte, obwohl das Wasser in ihrem Block ohnehin
schon limitiert sei und nur alle drei Stunden fließe. „Ich frag‘ mich, wie wir
so viel Wasser verbrauchen können, wo wir uns doch bereits alle das Badewasser
teilen! Auf die Idee die alten Rohre aus den 1960er Jahren auszutauschen, kommt
offensichtlich niemand hier in Šaca…“
Am Ende verspricht die Fotografin Anja das
Familienbild beim nächsten Mal vorbeizubringen. „Wann genau?“, will Beata
wissen. Die Dekoration der neugestrichenen Wände ist offenbar schon genau geplant.
Wir besuchten die beiden Roma-Wohnungen
im Rahmen des internationalen Projektes X-Wohnungen, welches 2002 von dem
Berliner Dramaturgen Matthias Lilienthal konzipiert wurde. Die mehrtätige
Veranstaltungsreihe findet in Kaschau zwischen dem 26. und 29. September statt.
In 14 Wohnungen werden an diesen Abenden parallel Künstler und Schauspieler
auftreten und zehnminütige Performances, Konzerte und Theaterstücke für
jeweils zwei Zuschauer aufführen. Die Besucher bekommen so Einblick in
ihnen sonst unbekannte Stadtteile und das Leben ihrer Bewohner.
Fotostrecke
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