Donnerstag, 27. Juni 2013

Mit der Badehose auf zum Mühlengraben



„Fragt man die Bewohner von Košice, was ihnen in ihrer Stadt am meisten fehlt, so lautet ihre Antwort: der Mühlengraben, “ sagt Milan Kolcun und meint damit einen ehemaligen Wasserkanal im Zentrum der Stadt. Der Schriftsteller und Stadtführer kennt die Sehnsüchte der Bewohner wie kein anderer. Kaum einen Kaschauer hat Kolcun noch nicht durch seine Heimatstadt geführt.  

Bei anhaltend 35 C° würde auch ich gerade nichts lieber tun, als meine Badesachen zu packen und mich ins kühle Nass zu stürzen.  Doch die einzige Erfrischung in Fußnähe sind die vielen Springbrunnen auf der Hauptgasse.  

Dabei zeugen historische Bilder und Fotografien noch von einer romantischen Kulisse mit glitzernder Wasseroberfläche am Fuße des Jakab-Palastes. Dieser liegt an der Mühlengasse, eine Querstraße zur Fußgängerpromenade. Ein Fluss mitten im Zentrum? Daran können sich heute nur noch die älteren Generationen erinnern. 

Der Mühlengraben, benannt nach einer Wassermühle, war ein abzweigender Kanal des Flusses Hernad. 1968 wurde das Wasser abgepumpt und die romantische Venedig-Kulisse durch eine Schnellstraße ersetzt. Seitdem dröhnt es pausenlos in der tiefen Mulde, denn die heutige Štefánik-Straße stellt die zentrale Verbindungsstrecke zwischen der Nord- und Südstadt dar.



Als Erholungsgebiete im Zentrum von Košice bleiben den Bewohnern eine Handvoll Parks, die sich, dank einer 6,5 Millionen Euro schweren Rekonstruktion im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms, neuen Bänken, Spielplätzen und Kieswegen erfreuen dürfen.  Der aufwendige Umbau der Parks, der zum Teil Grünflächen mit Betonplatten zudeckte, sorgte für viel Unmut innerhalb der Bevölkerung. 

Auch Zuzana Pacaková, eine der vier Organisatoren des Projektes „Die Rückkehr des Wassers in die Stadt“ (Návrat vody do mesta) steht den Umbauinvestitionen der  Kulturhauptstadt kritisch gegenüber. „Ist ja schön, dass die Parks erneuert werden, aber schade ist, dass das Thema Wasser nicht stattdessen eines der Hauptprojekte der Kulturhauptstadt geworden ist. Das hätte das Gesicht der Stadt wenigstens nachhaltig verändert, “ sagt die 27-Jährige. 

Als Angestellte der Kulturhauptstadtorganisation „Košice 2013“, arbeitet Zuzana für den Projektbereich „Visuelle Kunst“. Gemeinsam mit Peter Radkoff, Inhaber des alternativen Kulturzentrums Tabačka, Peter Vrábeľ, Mitglied der Künstlergruppe Kassaboys, und Peter Kočiš, Gründungsmitglied des Theaterensembles „Na Peróne“ will sie mit ihrem Projekt eine Diskussion anstoßen, die sich sprichwörtlich für die Rückkehr des Wassers in die Stadt einsetzt.

Mit zahlreichen Wassersportarten auf einem kleinen, noch bestehenden Teil des Wasserkanals sowie visuellen Shows, Konzerten und Theaterauftritten holte das vierköpfige Team an diesem Wochenende Tausende Bewohner auf die Straße. Zum ersten Mal seit 1968 wurde hier auf der wichtigen Verbindungsstraße der Verkehr für über 48 Stunden lahm gelegt.



In Zelten diskutierten Vertreter der Stadt, Wassertechniker sowie Bewohner über Möglichkeiten, wie die „Rückkehr des Wassers“ in die Štefánik-Straße realisiert werden könnte. Konkrete architektonische Pläne gibt es dafür zwar schon, doch bislang stoßen sie bei der Stadt aufgrund der hohen Investitionskosten, die bis in die Milliardenhöhe gehen, auf taube Ohren. 

Auch die Bewohner sind eher skeptisch, dass in der Betonmulde irgendwann wieder Wasser fließen wird, obwohl sich eine eindeutige Mehrheit den romantischen Mühlengraben wieder zurückwünscht. „Doch wenn es Schuster, der ehemalige Bürgermeister von Kaschau, nicht geschafft hat, dann schafft es keiner“, lautet die prompte Antwort eines diskutierenden Anwohners. Rudolf Schuster, der zweimal – vor wie nach der Wende – Oberbürgermeister der Stadt Kaschau gewesen ist und in den 1990er Jahren die Innenstadt von Grund auf sanieren ließ, ging das Geld für weitere Rekonstruktionen im Stadtzentrum aus. 

Für Zuzana Pacaková ist das kein Grund aufzugeben. „Dass ähnliche Projekte in Europa bereits erfolgreich umgesetzt werden konnten, zeigt etwa das niederländische Beispiel in einem Stadtviertel der Stadt Utrecht, “ erklärt Pacaková, „Wir orientieren uns an europäischen Städten und wollen damit zeigen:  es ist trotz hoher Kosten möglich.  Doch eine andere Sache zeigen diese Beispiele auch: es gelingt nur durch rege Bürgerbeteiligung.  In ihrer Initiative liegt die treibende Kraft.“

Für das Projekt „Die Rückkehr des Wassers“ ließen sich an diesem Wochenende immerhin Zehntausend Bürger mobilisieren. Zu später Stunde verwandelte sich der sonst menschenleere Betongraben in eine Tanzmeile mit ausgelassen feiernden Jugendlichen zu Elektromusik. Die Post-Romantik des 21. Jahrhunderts…

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Sonntag, 23. Juni 2013

Kuba Flair in Košice



Mit seinen terrakotafarbenen Fassaden, dem morbiden Charme abblätternden Putzes, weiß getünchten Kirchen und robusten Steinmauern, verbreitet Kaschau an so manchen Ecken das trügerische Bild eines alten Fischerdorfes... 

Ein Hauch von Kuba oder Mittelmeer? - Die Kaschauer selbst wollen darüber nur schmunzeln...









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Freitag, 21. Juni 2013

Halbzeit





Es ist Halbzeit. Zweieinhalb Monate sind vorüber – zweieinhalb Monate verbleiben mir noch. Inzwischen bin ich hier zuhause. Am liebsten würde ich gern die Zeit aufhalten, so wohl fühle ich mich in meiner neuen-alten Heimat. Thomas Manns Ansicht, dass Reisen das einzig Taugliche gegen die Beschleunigung der Zeit sei, kann ich bei bestem Willen nicht teilen. Eher fühle ich mich seit meiner Ankunft in der Kulturhauptstadt wie eine Getriebene von all den Eindrücken, die mir nachts durch den Kopf wirbeln nach einem ereignisreichen Tag voller interessanter Begegnungen.

Ich habe mich inzwischen an Vieles gewöhnt: an die Klänge von Geigen und Trompeten, die morgens aus der Musikschule zu meiner gegenüberliegenden Dachwohnung des ungarischen Theaters, das Sándor Márai Studio, drängen an die hohen Bordsteine, die löchrigen, mit Asphaltblasen versehenen Straßen, über die ich mit meiner scheppernden Rostlaube rumpele. An heißen Tagen genieße ich den böigen warmen Wind ganz besonders, der immerzu durch den Kaschauer Kessel, das Tal der Westkarpaten, zieht. 



Ich erfreue mich am Anblick der lächelnden Trachten-Oma, deren Kopftuch ihr wettergegerbtes Gesicht umrahmt. Tag für Tag verkauft sie Blumen an ihrem Marktstand auf dem Dominikaner-Platz. Ich gewöhne mich allmählich an die langen, dünnen, halbnackten Beine auf schwindelerregenden High Heels, die über die Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen stolzieren. Nachmittags vernehme ich das Sprudeln des farbig beleuchteten Wasserspiels auf der Hauptgasse am Elisabethdom. Abends tänzeln die Fontänen rhythmisch zur Melodie von „Yesterday“ auf und ab. Daneben schlendern zu jeder Tageszeit in aller Gemütlichkeit Eiscreme schleckende Passanten.

Ich ärgere mich nicht mehr über gelangweilt dreinblickende, kaugummikauende Verkäuferinnen, die ihre 8-Stunden-Schichten hinter dem Tresen abtelefonieren. Lieber erfreue ich mich am andersartigen Geruch in den Supermärkten, der meine Nase durchströmt. Ich kenne schon den Geschmack des slowakischen Räucherkäses, des sahnigen Bauernjoghurts und des weichen, ungesalzenen Brotes. 

Selbst den 60-prozentigen Sliwowitz meines Großvaters aus hauseigenen Pflaumen kriege ich inzwischen problemlos herunter – und das noch vor unserem sonntäglichen Mittagessen! Währenddessen erzählt mir mein Großvater mit erhobenem Zeigefinger, dass sein Schnaps die beste Vorsorge gegen alle möglichen gesundheitlichen Beschwerden sei. Auch den süßen Sünden meiner Großmutter, die sie mir in einer Schachtel zärtlich verpackt auf den Heimweg mitgibt, kann ich selten widerstehen…

In der „Dobrá Čajovná“ („Gute Teestube“) auf der Fleischergasse heißt mich der Duft der Wasserpfeifen willkommen, wenn ich die Treppen zu meinem Yoga-Kurs emporsteige. Einzigartig ist auch die Dampflokomotive "Katka", die durch das Čermel-Tal am Stadtrand von Kaschau pfeift. Der Rauch verbrannter Kohle dringt bis zum Waldweg hindurch, meiner Joggingstrecke inmitten der Natur. 


Ich schnuppere die Luft nach dem Regen in Kaschau, die ganz anders riecht, als in Hamburg. Eine eigenartige Atmosphäre stellt sich ein nach dem sommerlichen Platzregen mit Donnerschlägen, die ähnlich wie Betonwände nach einer Sprengung mit ohrenbetäubendem Getöse herunterbrechen. Urwaldfeeling inmitten urbaner Plattenbaukulisse! – An all das habe ich mich jetzt schon gewöhnt, und möchte es kaum mehr missen. Zweieinhalb Monate bleiben mir noch. Zum Glück.
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Mittwoch, 19. Juni 2013

Interview in der Kulturzeitung "Zajtrajšie noviny"


Als Lucia Zacharová, die Chefredakteurin der Kulturzeitung "Zajtrajšie noviny", zum ersten Mal von der Existenz einer "Stadtschreiberin" hörte, hatte sie prompt eine wunderliche, alte Dame mit einer Taube auf der Schulter vor Augen, die jeden Winkel der Stadt auswendig kennt und gerne aus dem Nähkästchen plaudert. Umso erfreuter war sie bei unserem ersten Treffen, denn ich entsprach nicht wirklich ihren Vorstellungen...

Der Artikel "Wer ist unsere Stadtschreiberin" ist hier auf Slowakisch nachzulesen, dank freundlicher Genehmigung der Zeitung "Zajtrajšie noviny". (Seite 4 der Ausgabe Nr.12) Auf der Seite befindet sich auch meine neue Rubrik, die ich von nun an mit meinen eigenen Worten im 2-Wochen-Rhythmus füllen darf. 

Das Interview in deutscher Sprache:

Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit in Košice?

Meine Erinnerungen basieren auf Fotos und Videos, die mein Großvater in seinem Ferienhaus von seinen Enkelinnen aufgenommen hatte. Ich erinnere mich zudem an Ferien auf einer Waldhütte im "Slowakischen Paradies". In meinen Kindheitsvorstellungen war die Slowakei ein Land unberührter Natur. In Košice selbst erinnere ich mich an Eiscreme aus der lokalen Kette AIDA und slowakischen kulinarischen Spezialitäten, wie einem Honigbärchen für Kinder, hausgemachten Kuchen meiner Großmutter, Apfel- und Mohnstrudel... Auf Familienfesten wurde bei uns viel gesungen. Ich habe fröhliche, familiäre und kulinarische Erinnerungen, geprägt von Erlebnissen in der Natur.

Den Honig aus der Flasche gab es schon vor über 30 Jahren
Total(itär)e Nostalgie

Ersetzte nach eurer Emigration die deutsche Sprache deine slowakische Muttersprache?

Ganz bestimmt. Als Dreijährige sprach ich recht wenig Slowakisch. Ich habe nie Unterricht in slowakischer Sprache besucht, noch habe ich je richtig die slowakische Grammatik und Rechtschreibung gelernt. In Deutschland war unser erstes Ziel sich zu integrieren und gut Deutsch zu lernen. Ich hatte sogar als Kind eine Phase, in der ich die slowakische Sprache abgelehnte. Meine Großmutter musste eine Zeitlang ein paar Brocken Deutsch lernen, damit wir uns verständigen konnten. Aber als Erwachsene ist mir bewusst geworden, dass es ein Geschenk ist eine zweite Muttersprache zu beherrschen. Mit meiner Mutter unterhalte ich mich seitdem in einem Mix aus Deutsch und Slowakisch.

Fallen dir die Veränderungen in Košice auf?

Die Stadt hat sich von der architektonischen Seite sehr verändert. Jedes Jahr wächst hier etwas Neues. Vorallem die Einkaufszentren fallen auf. Nach und nach verschwinden die kleinen Läden, obwohl einige der sozialistischen Tante-Emma-Läden immer noch existieren. Wie z.B. die Drogerie mit Verkaufstresen auf der Fleischergasse oder der Papierwarenhandel auf der Mühlengasse- und das neben den großen internationalen Ketten, die auf der ganzen Welt zu finden sind. Diese Kontraste finde ich spannend! 

Papierwarengeschäft auf der Mühlengasse
Drogerie auf der Fleischergasse
Was gefällt dir noch in der Stadt?

Ich bin ehrlich gesagt überrascht über das kulturelle Angebot, denn es wirkt wirklich großstädtisch. Zum Beispiel auf dem Festival „Use the City“ war ich beeindruckt von dem interessanten Programm, den Installationen, der Atmosphäre. Das Kulturangebot ist wirklich groß, obwohl die Stadt im Vergleich zu Hamburg ja recht klein ist. Die vielen Hinterhöfe und Gassen im historischen Zentrum haben zum Teil ein mediterranes Flair. Die Stadt könnte ebenso provinziell wirken, aber das ist sie keineswegs. Sie verdient sich ihren Titel als Kulturhauptstadt. Eine Reihe der Festivals existieren bereits seit einigen Jahren. Hier ist es ganz selbstverständlich binnen 24 Stunden ein jüdisches Klezmer Musikkonzert sowie einen Auftritt des Romathan Theaters zu erleben. Unterwegs in der Stadt vernehme ich viele Fremdprachen: ungarisch, deutsch, englisch, russisch. Das hat Großstadtcharakter!

Fühlst du dich in Košice jetzt schon zuhause?

Inzwischen schon. Dazu hat mein Fahrrad wesentlich beigetragen. Wenn ich durch die Innenstadt fahre, habe ich das Gefühl, dass es auch meine Stadt ist. Zudem verbringe ich die Sonntage bei meiner slowakischen Familie, mit der ich jetzt zum ersten Mal mehr Zeit verbringen kann.

Was ist dein Ziel während des mehrmonatigen Aufenthaltes in der Ostslowakei?

Ich schildere hier meinen persönlichen Erlebnisse in Košice. Dabei erforsche ich die Stadt aus kultureller und historischer Perspektive. Ich möchte dabei auch längst vergessene Geschichten der Stadt erzählen. Hierfür arbeite ich an einem Filmprojekt. Mich interessieren die Geschichten der Bewohner, wie sie die vielen politischen Umbrüche in der Stadt seit der ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) bis heute erlebt haben, und wie diese sie in ihrem eigenen Leben beeinflusst haben. (...)

Sind die Bewohner denn bereit ihre Erinnerungen und Ansichten preiszugeben?

Ja, die Menschen treten mir offen gegenüber, sie nehmen sich Zeit für mich. Die Leute sind hier nicht so sehr in Eile und nehmen sich auch nicht allzu ernst. Kaschauer sind selbstironisch und redebereit. Meistens ist es kein Problem mich binnen weniger Tage mit jemanden zu verabreden. Ich muss auch zugeben, dass mir meine Familie oftmals viele Türen öffnet. Hier kennt einfach jeder jeden. - Mein großes Glück.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lucia Zacharová



Foto: Lucia Zacharová

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