Als Lucia Zacharová, die Chefredakteurin der Kulturzeitung "Zajtrajšie noviny", zum ersten Mal von der Existenz einer "Stadtschreiberin" hörte, hatte sie prompt eine wunderliche, alte Dame mit einer Taube auf der Schulter vor Augen, die jeden Winkel der Stadt auswendig kennt und gerne aus dem Nähkästchen plaudert. Umso erfreuter war sie bei unserem ersten Treffen, denn ich entsprach nicht wirklich ihren Vorstellungen...
Der Artikel "Wer ist unsere Stadtschreiberin" ist hier auf Slowakisch nachzulesen, dank freundlicher Genehmigung der Zeitung "Zajtrajšie noviny". (Seite 4 der Ausgabe Nr.12) Auf der Seite befindet sich auch meine neue Rubrik, die ich von nun an mit meinen eigenen Worten im 2-Wochen-Rhythmus füllen darf.
Das Interview in deutscher Sprache:
Welche Erinnerungen
hast du an deine Kindheit in Košice?
Meine
Erinnerungen basieren auf Fotos und Videos, die mein Großvater in seinem
Ferienhaus von seinen Enkelinnen aufgenommen hatte. Ich erinnere mich zudem an Ferien auf einer Waldhütte im
"Slowakischen Paradies". In meinen Kindheitsvorstellungen war die Slowakei ein Land unberührter
Natur. In Košice selbst erinnere ich mich an Eiscreme aus der lokalen Kette AIDA und slowakischen kulinarischen Spezialitäten, wie einem Honigbärchen für Kinder, hausgemachten
Kuchen meiner Großmutter, Apfel- und Mohnstrudel... Auf Familienfesten wurde
bei uns viel gesungen. Ich habe fröhliche, familiäre und kulinarische
Erinnerungen, geprägt von Erlebnissen in der Natur.
Ersetzte nach eurer Emigration die deutsche Sprache deine slowakische Muttersprache?
Ganz bestimmt. Als Dreijährige sprach ich recht wenig Slowakisch. Ich habe nie Unterricht in slowakischer Sprache besucht, noch habe ich je richtig die slowakische Grammatik und Rechtschreibung
gelernt. In Deutschland war unser erstes Ziel sich zu integrieren und gut
Deutsch zu lernen. Ich hatte sogar als Kind eine Phase, in der ich die
slowakische Sprache abgelehnte. Meine Großmutter musste eine Zeitlang ein
paar Brocken Deutsch lernen, damit wir uns verständigen konnten. Aber als
Erwachsene ist mir bewusst geworden, dass es ein Geschenk ist eine zweite
Muttersprache zu beherrschen. Mit meiner Mutter unterhalte ich mich seitdem in
einem Mix aus Deutsch und Slowakisch.
Fallen dir die Veränderungen in Košice auf?
Die Stadt hat sich von der
architektonischen Seite sehr verändert. Jedes Jahr wächst hier etwas Neues.
Vorallem die Einkaufszentren fallen auf. Nach und nach verschwinden die kleinen
Läden, obwohl einige der sozialistischen Tante-Emma-Läden immer noch existieren. Wie z.B. die Drogerie mit Verkaufstresen auf der Fleischergasse oder der Papierwarenhandel auf der Mühlengasse- und das neben den großen internationalen Ketten,
die auf der ganzen Welt zu finden sind. Diese Kontraste finde ich spannend!
Papierwarengeschäft auf der Mühlengasse |
Drogerie auf der Fleischergasse |
Ich bin ehrlich gesagt überrascht über das kulturelle Angebot, denn es wirkt wirklich großstädtisch. Zum Beispiel
auf dem Festival „Use the City“ war ich beeindruckt von dem
interessanten Programm, den Installationen, der Atmosphäre. Das Kulturangebot
ist wirklich groß, obwohl die Stadt im Vergleich zu Hamburg ja recht klein ist.
Die vielen Hinterhöfe und Gassen im historischen Zentrum haben zum Teil ein
mediterranes Flair. Die Stadt könnte ebenso provinziell wirken, aber das ist
sie keineswegs. Sie verdient sich ihren Titel als Kulturhauptstadt. Eine Reihe
der Festivals existieren bereits seit einigen Jahren. Hier ist es ganz selbstverständlich
binnen 24 Stunden ein jüdisches Klezmer Musikkonzert sowie einen Auftritt des
Romathan Theaters zu erleben. Unterwegs in der Stadt vernehme ich viele
Fremdprachen: ungarisch, deutsch, englisch, russisch. Das hat Großstadtcharakter!
Fühlst du dich in
Košice jetzt schon zuhause?
Inzwischen
schon. Dazu hat mein Fahrrad wesentlich beigetragen. Wenn ich durch die Innenstadt fahre, habe ich das Gefühl, dass es auch meine Stadt ist. Zudem verbringe
ich die Sonntage bei meiner slowakischen Familie, mit der ich jetzt zum ersten
Mal mehr Zeit verbringen kann.
Was ist dein Ziel während des mehrmonatigen Aufenthaltes in der
Ostslowakei?
Ich schildere hier meinen
persönlichen Erlebnisse in Košice. Dabei erforsche ich die Stadt aus
kultureller und historischer Perspektive. Ich möchte dabei auch längst vergessene
Geschichten der Stadt erzählen. Hierfür arbeite ich an einem Filmprojekt. Mich
interessieren die Geschichten der Bewohner, wie sie die vielen politischen Umbrüche
in der Stadt seit der ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) bis heute erlebt
haben, und wie diese sie in ihrem eigenen Leben beeinflusst haben. (...)
Sind die Bewohner denn bereit ihre Erinnerungen und Ansichten preiszugeben?
Ja, die Menschen treten
mir offen gegenüber, sie nehmen sich Zeit für mich. Die Leute sind hier nicht
so sehr in Eile und nehmen sich auch nicht allzu ernst. Kaschauer sind
selbstironisch und redebereit. Meistens ist es kein Problem mich binnen weniger
Tage mit jemanden zu verabreden. Ich muss auch zugeben, dass mir meine Familie
oftmals viele Türen öffnet. Hier kennt einfach jeder jeden. - Mein großes Glück.
Vielen Dank für das
Gespräch.
Das Interview führte Lucia Zacharová
Foto: Lucia Zacharová
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen