Es ist Halbzeit. Zweieinhalb Monate sind vorüber – zweieinhalb Monate verbleiben mir noch. Inzwischen bin ich hier zuhause. Am liebsten würde ich gern die Zeit aufhalten, so wohl fühle ich mich in meiner neuen-alten Heimat. Thomas Manns Ansicht, dass Reisen das einzig Taugliche gegen die Beschleunigung der Zeit sei, kann ich bei bestem Willen nicht teilen. Eher fühle ich mich seit meiner Ankunft in der Kulturhauptstadt wie eine Getriebene von all den Eindrücken, die mir nachts durch den Kopf wirbeln nach einem ereignisreichen Tag voller interessanter Begegnungen.
Ich habe mich inzwischen an Vieles
gewöhnt: an die Klänge von Geigen und Trompeten, die morgens aus der
Musikschule zu meiner gegenüberliegenden Dachwohnung des ungarischen Theaters, das Sándor Márai Studio,
drängen an die hohen Bordsteine, die löchrigen, mit Asphaltblasen versehenen
Straßen, über die ich mit meiner scheppernden Rostlaube rumpele. An heißen
Tagen genieße ich den böigen warmen Wind ganz besonders, der immerzu durch
den Kaschauer Kessel, das Tal der Westkarpaten, zieht.
Ich erfreue mich am Anblick der lächelnden
Trachten-Oma, deren Kopftuch ihr wettergegerbtes Gesicht
umrahmt. Tag für Tag verkauft sie Blumen an ihrem Marktstand auf dem
Dominikaner-Platz. Ich gewöhne mich allmählich an die langen, dünnen, halbnackten
Beine auf schwindelerregenden High Heels, die über die Kopfsteinpflaster der
Altstadtgassen stolzieren. Nachmittags vernehme ich das Sprudeln des farbig
beleuchteten Wasserspiels auf der Hauptgasse am Elisabethdom. Abends tänzeln
die Fontänen rhythmisch zur Melodie von „Yesterday“ auf und ab. Daneben
schlendern zu jeder Tageszeit in aller Gemütlichkeit Eiscreme schleckende
Passanten.
Ich ärgere mich nicht mehr über gelangweilt
dreinblickende, kaugummikauende Verkäuferinnen, die ihre 8-Stunden-Schichten hinter
dem Tresen abtelefonieren. Lieber erfreue ich mich am andersartigen Geruch in
den Supermärkten, der meine Nase durchströmt. Ich kenne schon den Geschmack des
slowakischen Räucherkäses, des sahnigen Bauernjoghurts und des weichen,
ungesalzenen Brotes.
Selbst den 60-prozentigen Sliwowitz meines Großvaters aus hauseigenen Pflaumen kriege ich inzwischen
problemlos herunter – und das noch vor unserem sonntäglichen Mittagessen! Währenddessen
erzählt mir mein Großvater mit erhobenem Zeigefinger, dass sein Schnaps die
beste Vorsorge gegen alle möglichen gesundheitlichen Beschwerden sei. Auch den
süßen Sünden meiner Großmutter, die sie mir in einer Schachtel zärtlich
verpackt auf den Heimweg mitgibt, kann ich selten widerstehen…
In der „Dobrá Čajovná“
(„Gute Teestube“) auf der Fleischergasse heißt mich der Duft der Wasserpfeifen
willkommen, wenn ich die Treppen zu meinem Yoga-Kurs emporsteige. Einzigartig
ist auch die Dampflokomotive "Katka", die durch das Čermel-Tal am Stadtrand von
Kaschau pfeift. Der Rauch verbrannter Kohle dringt bis zum Waldweg hindurch, meiner
Joggingstrecke inmitten der Natur.
Ich schnuppere die Luft nach dem
Regen in Kaschau, die ganz anders riecht, als in Hamburg. Eine eigenartige
Atmosphäre stellt sich ein nach dem sommerlichen Platzregen mit Donnerschlägen,
die ähnlich wie Betonwände nach einer Sprengung mit ohrenbetäubendem Getöse
herunterbrechen. Urwaldfeeling inmitten urbaner Plattenbaukulisse! – An all das
habe ich mich jetzt schon gewöhnt, und möchte es kaum mehr missen. Zweieinhalb
Monate bleiben mir noch. Zum Glück.
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