Fotografiert auf dem Platz der Befreier (Namestie osloboditelov) |
Dienstag, 30. April 2013
Welches ist nun das slowakische Nationalgetränk?
Freitag, 26. April 2013
Empörung in Košice – Wie die Tagesschau die Kulturhauptstadt verärgert
„Wie nehmen die Bewohner von Košice ihren Titel als Kulturhauptstadt wahr?“, werde ich oft von meinen deutschen Bekannten gefragt. Spätestens seit Januar steht die Kulturhauptstadt im medialen Rampenlicht. So viel Aufmerksamkeit ist sie nicht gewohnt. – So viel Kritik ebenso wenig.
Der eine
Bevölkerungsteil beäugt mit Sarkasmus, aber heiterer Miene die offenen
Baustellen in der Stadt. Die schwarzen Plakate mit pinker Aufschrift „Košice,
Europäische Kulturhauptstadt“, die meterhoch die grauen Wände der Innenstadt
schmücken, deuten auf Bombastisches hin. Hoffentlich werde wenigstens eines der
großangelegten Projekte zum Ende des Kulturjahres fertig, rechtzeitig,
wenn alle Touristen längst wieder abgereist seien, so die Kommentare.
Der andere
Teil wirkt weniger amüsiert. Die Kränkung über die ausländische
Auseinandersetzung mit der „Kulturhauptstadt Košice“ sitzt tief. Die
ausländische Berichterstattung sei hart und ungerecht. Westliche Journalisten würden
den Titel der Kulturhauptstadt bloß als Vorwand nutzen. Statt von den
historischen und kulturellen Reichtürmern der Stadt zu berichten, seien sie in
Wirklichkeit bloß scharf auf die
wuchernden Roma-Ghettos in und um Košice.
Dabei habe die Stadt so viel
mehr zu bieten: Košice, das erstmals im Jahre 1230
schriftliche Erwähnung fand, dessen St.-Elisabeth-Dom die
größte Kirche der gesamten Slowakei sowie zugleich das östlichste Bauwerk der
europäischen Hochgotik darstellt! Košice, die Stadt, die seit jeher Ungarn,
Slowaken, Juden, Deutsche und Ruthenen friedlich unter einem Dach beherbergt und von multikultureller
Vielfalt gerade nur so sprüht! Warum bloß wollen die Ausländer immerzu
die Lage der „Zigeuner“ thematisieren?
Ein Blick in
die deutsche Berichterstattung über die „Kulturhauptstadt Košice“ zeigt zu
Recht: Die Artikel sind voller Schreckensberichte über die Situation der hier
lebenden Roma.
Im Tagesthemen-Bericht vom 20.
Januar 2013, am Tag nach der Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt, lautet es sogleich
am Anfang: „Die slowakische Stadt Kosice ist neben dem französischen Marseille jetzt
offiziell europäische Kulturhauptstadt. […] Rund um Kosice herrscht große
Armut. Die ärmsten der Armen sind die Roma.“
Schätzungen zufolge leben 25.000
Roma in Košice, rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung. Längst ist das Wohnblockviertel "Lunik IX" zum Inbegriff der Roma-Problematik in Kosice geworden. Es ist Ende der 1970er Jahre entstanden und zählt zu den jüngsten
Plattenbausiedlungen der Stadt. – Doch Häuser, die ähnlich zerstört sind,
findet man hier kaum. Fehlende Fenster, ausgebrannte Türen, Müllberge stauen
sich vor den grauen Betonbauten. In der ursprünglich für 2400 Bewohner gebauten
Wohnsiedlung, leben heute schätzungsweise 7000 Menschen – oder mehr. So genau
kann das keiner sagen, denn fast jemand traut sich dort hin. In einem Haushalt
leben durchschnittlich 12-14 Personen. Nahezu alle Lunik IX-Bewohner gehören
der Roma-Bevölkerung an. In den 498 Wohnungen zahlt so gut wie niemand Miete. Als Konsequenz hat die Stadt dauerhaft fließendes Trinkwasser, den Strom
und die Heizung abgestellt.
Auch der Artikel der Onlineausgabe
der TAZ vom 23.03.2013 kritisiert die Situation der Ghettoisierung der
Roma aufs Schärfste: „In Lunik IX sind die Fassaden längst
abgefallen und der Kulturhauptstadt Kosice, die so stolz auf ihre
Minderheitenvielfalt ist, ist es offensichtlich völlig egal, dass sich mitten
in ihrer Stadt eine Tragödie abspielt, die das ganze Kulturmarketing von Košice
als den eigentlichen Schandfleck erscheinen lässt.“
Ich glaube den Bewohnern ist die
Situation der Roma alles andere als egal. Aber gerne reden sie nicht darüber,
wie auch die Vizebürgermeisterin Renata Lenartová im
Bericht auf 3sat eingesteht.
Die Ratlosigkeit der Bevölkerung
spiegelt sich in abstrusen Lösungsvorschlägen wider: von Deportationen nach
Indien, bereits durchgeführten Sterilisationen
von Roma-Frauen gegen Geld bis hin zum Vorschlag einer ansässigen Bewohnerin
„auf Lunik IX müsse man eine Bombe abwerfen“.
Vermutlich hofft die Kauschauer
Bevölkerung darauf, dass sich das Problem alsbald von selbst löst. Jährlich
verlassen zig Familien das Ghetto und suchen bessere Lebensbedingungen in den
westlichen Ländern der Europäischen Union. Die Schuldirektorin Anna Koptová,
die fast ausschließlich Kinder aus Lunik IX unterrichtet, spricht von sechs
Roma-Kindern, die im Laufe des letzten Schuljahres die Klasse verlassen haben. Dänemark,
Schweden, Niederlande, England und Deutschland sind beliebte Ziele. – Das
„Roma-Problem“ ist längst ein Europäisches.
Stelle ich einem Bewohner der
Stadt Košice die Frage, ob er eine Idee habe, was zu tun sei gegen die Armut,
die fehlende Bildung und die grassierende Arbeitslosigkeit der Roma, nimmt
unser Gespräch eine rasante emotionale Wendung. Unsere Diskussion endet dabei
immer mit der Erzählung eines persönlich erlebten Negativerlebnisses mit einem Roma.
Am Ende eines jeden Zwiegesprächs komme ich mir hilflos vor.
Ausländische Journalisten und
auch ich haben selbstverständlich nur unsere Außenperspektive. Es ist die
beschränkte Sicht auf ein Problem, welches seine lange Vorgeschichte hat. Selbstverständlich
ist es plakativ und medienwirksam auf die Schnelle nach Lunik IX zu fahren und
dort die Armut zu filmen. Schwieriger ist es, sich dem Thema auf vielschichtige
Weise zu nähern.
Wir kennen die Lebensbedingungen
der hier lebenden Menschen kaum. Wir gehen nicht zur pränatalen Vorsorge und
sehen zu, wie sich ein minderjähriges, hochschwangeres Roma-Mädchen ohne Ausweis,
ohne Versichertenkarte zu ihrer ersten Kontrolle bei einer Frauenärztin
vorstellt.
Wir ausländische Journalisten sind
finanziell besser gestellt. Wir können selbstverständlich nicht beurteilen, wie
es ist, nach über 40 Arbeitsjahren mit einer Rente von 200 € monatlich auszukommen.
Wir müssen nicht beim Sozialamt Schlange stehen und zusehen, wie arbeitslose
Roma-Eltern mit einer ganzen Kinderschar auftauchen und vor uns Sozialhilfe
einkassieren. – Und nein, wir sind auf unserer kurzen Durchreise durch die
Ostslowakei nicht zufällig von kleinen unschuldig dreinblickenden Roma-Kindern auf
ganz hinterhältige Weise bestohlen worden.
Aber dennoch sehen auch wir Ausländer
die rauchenden Trabentensiedlungen auf dem Land, sehen die Müllberge, in denen
Roma leben. Wir sehen die Löcher in den Wänden, die Roma (etwa mutwillig?!) ausgebrannt
haben. Wir erschrecken, dass selbst schon ein Kindergartenkind zu wissen glaubt,
dass „alle Zigeuner stinken und asozial sind“. – Wie können wir da wegsehen,
weghören?
Nicht zuletzt graut es gerade uns
deutschen Journalisten ganz besonders vor gesellschaftlich akzeptieren Unterscheidungen
zwischen „Weißen“ und „Zigeunern“. Ethnische Bezeichnungen fallen hier alltäglich
und so natürlich, dass die Bewohner von Košice diese gar nicht mehr wahrzunehmen
scheinen. Genau dafür ist der „Blick der Fremde“ gut. Auch wenn er manchmal schmerzhaft
ist.
Und doch: Das Kulturhauptstadtjahr
Košice bietet eine Plattform für Roma. Ihre Einbindung in das kulturelle
Programm ist zumindest in Ansätzen vorhanden. Sie geht über musikalische
Einlagen hinaus, wie nicht zuletzt eine im Frühjahr realisierte Foto-Ausstellung
„The Real People“ anschaulich
darstellt. Sie zeigt keine „Zigeuner“, sondern eine Reihe integrierter Bürger unterschiedlicher
Berufe mit Roma-Hintergrund. Solche Initiativen sind kleine Ansätze. Aber sie sind
wichtig. Mehr davon!
Montag, 22. April 2013
Der Duft der Donaumonarchie
Ich muss zugeben, eines hat sich seit meiner Kindheit in der slowakischen Heimat nicht verändert (siehe zweiter Eintrag): meine
Großmutter verwöhnt mich immer noch mit den wunderbarsten süßen Leckereien,
die die Länder der ehemaligen Donaumonarchie zu bieten haben.
Gestern erst
steckte sie mir mit einem Augenzwinkern eine Schachtel wohlduftender, mit Mohn gefüllter Hörnchen zu. Stolz fügte sie hinzu, das Rezept für die sogenannten „Pressburger Mohnhörnchen“ stamme von Irena
Košiková höchstpersönlich. Die hierzulande nur als Frau
Čirina bekannte Hausdame, kochte
jahrelang für keinen geringeren als den damaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel. Und dieser konnte nicht genug davon kriegen...
Freitag, 19. April 2013
„Why does Julia Mensch need 20 kilos of apples?“
Diese etwas merkwürdige Frage
lockt mich durch das Tor von Vítez in einen versteckten Hinterhof der Kaschauer
Hauptgasse auf die Ausstellungseröffnung der argentinischen Künstlerin Julia Mensch.
Ich steige eine knarrende
Wendeltreppe aus Holz hinauf und gelange in den Wandelgang, der mich zu einer
kleinen Tür führt. Es ist der Eingang zum Pyecka Studio, eine junge Galerie, die sich auf Street Art und internationale Nachwuchskünstler spezialisiert hat.
Mein erster Blick fällt auf zwei Netzsäcke gefüllt mit roten Äpfeln. Es ist das
erste Exponat der Ausstellung „Salashi“. Der Ort "Salashi" ist zugleich Namensgeber und Thema der Ausstellung, in der die Künstlerin ihre eigene Familiengeschichte aufarbeitet. Die Räume im Pyecka Studio sind nur wenige Quadratmeter klein, doch die hohen gewölbten Decken
des neugotischen Altbaus lassen sie groß erscheinen.
Julia Mensch, eine zierliche
Person mit dunklen Haaren, steht angesichts der hohen Besucherzahl etwas
schüchtern in der Ecke des Ausstellungssaals. Julia beginnt den vielen
Besuchern ihrer Reise nach Salashi zu erzählen, zumindest jenem Teil, der
Englisch versteht.
Die Reise der Argentinierin auf
den Spuren ihres jüdischen und kommunistischen Großvaters Rafael beginnt vor acht Jahren in Buenos Aires und führt sie quer durch Europa bis in das ukrainische
Dorf Salashi, dem Geburtsort und die Heimat ihrer argentinischen Familie.
Ein beruhigendes Knacken dreier
alter Dia-Projektoren begleitet Julias Erzählung, die im regelmäßigen Rhythmus
Bilder an die Wand werfen. Kick-knack. Das nächste Foto erscheint. Es zeigt eine
Hütte inmitten von Wäldern, greise Frauen mit geblümten Kopftüchern und gefalteten
Händen vor ihren Häusern. Ein fremder Ort in einer anderen Zeit – oder ist die
Zeit dort einfach nur stehengeblieben?
Salashi, das ukrainische
800-Seelen-Dorf, umgeben von Bäumen und Wiesen, liegt wenige Kilometer vor
polnischem Gebiet und grenzt somit unmittelbar an die europäische
Schengen-Zone. Läuft man ein paar Kilometer durch das Walddickicht, stößt man
unwillkürlich auf Zäune und Wachposten der ukrainischen Militärbasis.
Die 33-Jährige ist dort auf der
Suche nach dem Geburtshaus ihres Großvaters. Julias Urgroßvater verlässt
1927/28 aufgrund einer großen Hungersnot das damals noch polnische Gebiet, mit
dem Versprechen seiner Familie ein besseres Leben in Südamerika zu ermöglichen.
1935 folgen ihm seine vier Söhne – allesamt minderjährig – per Dampfschiff,
darunter Julias damals achtjähriger Großvater Rafael. Die Mutter der Brüder
sitzt indes aufgrund illegalen Saccharin-Handels im Gefängnis fest. Nach ihrer
Freilassung überquert auch sie den atlantischen Ozean. In Buenos Aires beginnt
für Julias Großvater Rafael ein neues Leben – 45 Jahre später kommt seine
Enkeltochter Julia zur Welt.
Sie ist die Erste der Familie
Mensch, die in die ukrainische Heimat zurückkehrt. In Salashi findet sie nicht
nur das Geburtshaus ihres Großvaters – eine einfache Holzhütte, die heute als
Bibliothek im nahezu unveränderten Zustand dient – sie trifft auf ehemalige Bekannte ihres Großvaters Rafael, die sie willkommen heißen und auch gleich zu
hausgemachter Wurst und Schnaps ins Haus einladen.
Der Projektor wirft ein neues Bild an die Wand. Apfelbäume. Eine Wiese voller Äpfel. Moos, dichtes, hohes Gras. Malerische Natur. Eine vertraute Idylle. Julia umringt von Dorfbewohnern.
Die Menschen in Salashi leben in
einfachen Verhältnissen. Sie besitzen nicht viel. Doch das Wenige, was sie
besitzen, teilen sie. Und so kommt es, dass die Fremde in der Heimat ihrer
Ahnen, schwer bepackt, mit Säcken voller Äpfel, aber glücklich ihren Rückweg
antritt. Diese Erfahrung und auch ein paar der Früchte lässt sie nun auch in Košice
zurück.
Nachtrag
Die Fotos von Julia Mensch sind
noch bis Ende April im Pyecka Studio
zu sehen. Das Buch über ihre Reise liegt in spanischer Sprache, mit
englischer, slowakischer und ukrainischer Übersetzung vor.
Julia Mensch gehört zu einen der
„Artists in Residence“, die im vergangenen Jahr im Rahmen des K-A-I-R Programms
einen dreimonatigen Aufenthalt in Košice verbracht haben.
Ich bleibe noch eine Weile auf
der Ausstellung und beobachte tief versunken das Drehrad der Dia-Projektoren,
im Hintergrund vernehme ich Stimmengewirr unterschiedlicher Sprachen. Das leise
Gemurmel verebbt von einem Moment auf den anderen. Einige Mädchen singen ein
Volkslied in einer mir fremden, doch dem slowakisch ähnlicher Sprache. Alle
lauschen der Melodie, die in der Akustik der hohen Decken des Gewölbebaus zu
schweben scheint. Ein magischer Moment.
Von der 20-jährigen Natalia erfahre ich kurze Zeit später, dass sie und ihre Freundinnen zur ruthenischen Minderheit gehören. Mit rund 3000 Ruthenen im Bezirk Košice stellen sie nach Ungarn, Roma und Tschechen die viertgrößte Minderheit in der Ostslowakei dar.
Die 21-jährige L’udmila sagt mir, ihr sei zu Ohren gekommen, Deutsche würden auf Hochzeiten an einem einzigen Glas nippend den ganzen Abend verbringen und fragt mich, ob das denn wirklich wahr sei. Sie lädt mich ein Ende Juni zum zweitägigen Kultur- und Sportfestival in ihre Heimat Medzilaborce zu kommen (hier zum Artikel über meinen Besuch). Dort würde ich lernen, wie man richtig feiere und trinke. Na zdaróvie!
Fotos : Michaela Bottková
Montag, 15. April 2013
Der Klang der Stadt
Ich stehe auf Zehenspitzen und
lehne mich heraus aus dem Fenster meiner Dachwohnung. Wenn die Nacht über
Košice hereinbricht, setzt ein bedächtiges Rauschen über den Dächern ein. Der Umriss der gotischen Elisabethkirche zeichnet sich gespenstisch ab vor
dem Halbdunkel der beleuchteten Straßen der Altstadt.
In der Ferne vernehme ich
das Rattern vorbeifahrender Züge, ab und zu ein leises Brummen und Knattern der
Straßenbahnen. Sonst ist nichts zu hören. Keine menschliche Stimme, kein Gelächter, kein Klappern
von Stöckelschuhen auf Pflasterstein dringt zu mir vor. In der abendlichen
Stille tritt dieses summende, monotone Rumoren ein, als brodele es ganz leise
in der Tiefe eines Suppentopfes.
Aussicht auf die Dominikanerkirche |
Diese besondere Akustik verdankt
Košice seiner Lage im Talkessel der Westkarpaten am Ufer des Flusses
Hernad.
Um den historischen Kern der Stadt türmen sich Plattenbausiedlungen auf den hügeligen Rändern des Tales, die Košice wie eine Stadtmauer beschützen. Die weiß-grauen Betonbauten sind im Zuge des sprunghaften Bevölkerungswachstums seit den 1960er Jahren entstanden und wirken wie wüst aufgestellte Dominosteinhaufen.
Um den historischen Kern der Stadt türmen sich Plattenbausiedlungen auf den hügeligen Rändern des Tales, die Košice wie eine Stadtmauer beschützen. Die weiß-grauen Betonbauten sind im Zuge des sprunghaften Bevölkerungswachstums seit den 1960er Jahren entstanden und wirken wie wüst aufgestellte Dominosteinhaufen.
Morgens kocht der Topf über. Da
ist zunächst ein durchdringend sägender Ton, der durch die Wand zu meinem
Nachbarn dringt und mich weckt. Dann erklingen die Tonleitern aus der
Musikhochschule von der gegenüberliegenden Straßenseite. Geigen, Klarinetten
spielen ihre Morgenübung.
Sobald die Stadt erwacht,
verwandelt sich der leise brodelnde Kessel in einen dröhnenden Moloch, aus dem
jedes Hupen, jede Sirene vielfach verstärkt wiederhallt. – Ein Hauch von Los
Angeles in Košice…
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Freitag, 12. April 2013
„Bos es dos?“ – Besuch bei den Mantaken in Metzenseifen
Ich
verlasse Košice und fahre Richtung Südwesten in den kleinen Ort Medzev, zu
Deutsch Metzenseifen. Dort soll die kleine deutschsprachige Gemeinde der
Mantaken etwas versteckt im Slowakischen Karst leben. Von Mantaken habe ich
noch nie zuvor gehört, obwohl sie nur 30 Kilometer westlich von Košice entfernt
leben und das seit 800 Jahren…
Bereits
vor der Fahrt warnt man mich vor dem schlechten Zustand der slowakischen Straßen.
Nach dem ungewöhnlich harten Winter seien zahlreiche der flüchtig mit Asphalt
gefüllten Teerflicken wieder aufgeplatzt. Auf der Landstraße in Richtung Jasov wimmelt
es dann nur so vor Schlaglöchern. Ich weiche ihnen aus, wie auf einer Slalomstrecke.
Dabei muss ich unwillkürlich an meinen Cousin denken, der mich erst kürzlich fragte,
woran man einen betrunkenen slowakischen Autofahrer erkenne: Nüchterne
Autofahrer fahren Slalom, betrunkene geradeaus. – Soweit meine Einführung in den
trockenen slowakischen Humor.
Die
kurvige Landstraße führt mich abwechselnd durch langgezogene Dörfer und ödes Weideland.
Es folgen finstere Waldgebiete und mich beschleicht das Gefühl mich verfahren
zu haben. Dann endlich ein Ortschild: Jasov. Von hier ist es laut Karte nur
noch ein Katzensprung nach Medzev.
Plötzlich verwandelt sich die Fahrbahn zum Fußweg. Drei Mädchen laufen Hand in Hand unbeschwert auf der Gegenspur, eine Gruppe Jugendlicher zieht einen Schubkarren mit Brennholz vor sich her. Direkt an der Hauptstraße von Jasov lebt die Roma-Bevölkerung in dicht besiedelten Häusern.
Es raucht aus den Hütten, die teilweise nur mit Wellblech verkleidet sind. Überall
türmt sich der Müll auf. Unweit der Roma-Siedlung prangen auf einer Anhöhe stolz
die beiden Türme des Prämonstratenser-Klosters von Jasov. Dahinter erstrecken
sich die Gebirgszüge des Slowakischen Erzgebirges. Weiß blitzt das Gestein unter
dem dichten Wald des Slowakischen Karsts hervor. Wie unmittelbar hier doch Idylle
und die harte Realität der Roma beieinander liegen.
Vorbei an der „Schule“ der Roma – einem ausgebrannten Betonklotz – fahre ich weiter Richtung Metzenseifen. Das deutsch-slowakischsprachige Ortsschild Medzev-Metzenseifen heißt mich willkommen. Es deutet auf eine lange Geschichte deutscher Siedler hin, die bis ins frühe Mittelalter zurückgeht. Nachdem reiche Erzvorkommen im Bodwatal entdeckt wurden, sandte der ungarische König Bela IV. Mitte des 13. Jahrhunderts seine Boten in den Westen, um deutsche Bergleute und Handwerker anzuwerben.
Metzenseifen entwickelte sich alsbald
zu einem wichtigen Wirtschaftszentrum und genoss selbst am kaiserlichen Hof durch
seine Schmiedekunst ein hohes Ansehen. 1842
waren 109 Hammerschmieden mit
198 Essen in Betrieb – zu jener Zeit die weltweit höchste Konzentration. Heute ist von dem alten Glanz kaum noch etwas zu spüren.
Eine Hammerschmiede soll angeblich noch in Betrieb sein. Doch als ich vorbeifahre,
wirkt sie wie ausgestorben. Inzwischen sind die meisten Bewohner in der Holzwirtschaft beschäftigt. Doch
die Arbeitslosigkeit greift hier um sich, unschwer an den betrunkenen Männern
zu erkennen, die auf den Gehwegen entlangtorkeln.
Schon beim
Aussteigen aus dem Auto, werde ich prompt von einem alkoholisierten Bewohner auf
Slowakisch nach einer Zigarette gefragt. Ich versuche mich auf Deutsch heraus
zu reden: „Ich verstehe nichts“. Doch überraschend hilft mir das nicht weiter: Der
Mann wechselt sogleich ins Deutsche. Das passiert mir zum ersten Mal in diesem
Land.
Metzenseifen
gilt heute als DIE Hauptstadt der Deutschen der Slowakei. 400 der knapp 4300
Bewohner zählen sich laut der letzten Volkszählung von 2011 zur deutschen
Minderheit. 1999 waren es fast doppelt so viele.
Ich
treffe Helmut Bistika, einen freischaffenden Künstler und
Kunstpädagogen aus Medzev, in seinem Café am Kirchplatz. Das Galérie-Café ist eine Oase. Der wohlduftende Hauch
von Café, Zimt und Schokolade steht im starken Kontrast zum Geruch von
Brennholz, der die Straßen der Stadt durchströmt. Während im Ort einige Schaufenstervitrinen
den Eindruck erwecken, als stünden sie seit Jahren leer, erstrahlen die im
Galérie-Café ausgestellten Gemälde in leuchtenden Farben.
Vor zwei Jahren hat Helmut Bistika gemeinsam mit seiner Frau die Räumlichkeiten restauriert. Die beiden haben sich ihren Traum erfüllt. Aber an das liebevoll eingerichtete Café mit gefliester, lachsfarben schimmernder Theke gewöhnen sich die Bewohner offensichtlich nur langsam. Selten betritt lokale Kundschaft sein Café.
Helmut
Bistika gehört wohl zu den wenigen, die nach 1960 geboren sind und dennoch
fließend Mantakisch sprechen. Dass in der Familie Bistika noch Dialekt
gesprochen wird, ist inzwischen alles andere als selbstverständlich. Nur noch
selten wird Mantakisch an die Nachkommen weitergegeben. - Eine vom
Aussterben bedrohte Sprache.
Mantakisch klingt in meinen Ohren wie antiquiertes Bayerisch. Dabei täuscht der Eindruck,
denn auch Siedler aus anderen deutschen Regionen, wie Thüringen und der
Rhein/Main-Gegend beeinflussten die Sprache im Ort über die Jahrhunderte.
Wie
kommt es, dass sich der mantakische Dialekt über Jahrhunderte hinweg gerade in Metzenseifen
erhalten konnte? Es muss an der Abgeschiedenheit des Bodwatals
liegen. Im Gegensatz zu anderen karpatendeutschen Siedlungsgebieten in der
Slowakei gab es hier weniger Zuwanderung anderssprachiger Volksgruppen.
An
einer Wand des Cafés entdecke ich ein Gedicht auf mantakisch. Ich versuche die Bedeutung der Sätze zu entziffern. Es handelt sich um einen
Auszug aus der Ballade 'Die Metzenseifner Kirch' des Heimatdichters Peter
Gallus. „Hond“ statt „Hund“ und „Grond“ statt „Grund“. „Was ist das“ wird zu “
„Bos es dos“ – Ich muss unweigerlich schmunzeln, weil mir das Kinderlied „Drei
Chinesen mit dem Kontrabass“ in den Sinn kommt.
Helmut
wendet sich unterdessen einer Traube Frauen mittleren Alters zu. Der Künstler
beginnt wild gestikulierend in geheimnisvollen Mantakisch mit den Damen zu sprechen
und verschwindet kurzerhand. Die Freude über diese seltenen Gäste ist ihm
anzusehen. Während er für seine Kunden Sachertorte zubereitet, frage ich die
Damen, wo ich mehr über mantakische Kultur und Geschichte erfahren könne. Sie raten
mir, mich an die Mitglieder des Karpatendeutschen Vereins zu wenden, die sich einmal
die Woche zum Singen treffen.
–
Also dann, die nächste Reise nach Medzev ist bereits geplant. Doch dann nehme ich
lieber den Bus, um die Servolenkung des Autos meiner Großmutter nicht überzustrapazieren…
Fotostrecke Metzenseifen
Donnerstag, 11. April 2013
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