„Wie nehmen die Bewohner von Košice ihren Titel als Kulturhauptstadt wahr?“, werde ich oft von meinen deutschen Bekannten gefragt. Spätestens seit Januar steht die Kulturhauptstadt im medialen Rampenlicht. So viel Aufmerksamkeit ist sie nicht gewohnt. – So viel Kritik ebenso wenig.
Der eine
Bevölkerungsteil beäugt mit Sarkasmus, aber heiterer Miene die offenen
Baustellen in der Stadt. Die schwarzen Plakate mit pinker Aufschrift „Košice,
Europäische Kulturhauptstadt“, die meterhoch die grauen Wände der Innenstadt
schmücken, deuten auf Bombastisches hin. Hoffentlich werde wenigstens eines der
großangelegten Projekte zum Ende des Kulturjahres fertig, rechtzeitig,
wenn alle Touristen längst wieder abgereist seien, so die Kommentare.
Der andere
Teil wirkt weniger amüsiert. Die Kränkung über die ausländische
Auseinandersetzung mit der „Kulturhauptstadt Košice“ sitzt tief. Die
ausländische Berichterstattung sei hart und ungerecht. Westliche Journalisten würden
den Titel der Kulturhauptstadt bloß als Vorwand nutzen. Statt von den
historischen und kulturellen Reichtürmern der Stadt zu berichten, seien sie in
Wirklichkeit bloß scharf auf die
wuchernden Roma-Ghettos in und um Košice.
Dabei habe die Stadt so viel
mehr zu bieten: Košice, das erstmals im Jahre 1230
schriftliche Erwähnung fand, dessen St.-Elisabeth-Dom die
größte Kirche der gesamten Slowakei sowie zugleich das östlichste Bauwerk der
europäischen Hochgotik darstellt! Košice, die Stadt, die seit jeher Ungarn,
Slowaken, Juden, Deutsche und Ruthenen friedlich unter einem Dach beherbergt und von multikultureller
Vielfalt gerade nur so sprüht! Warum bloß wollen die Ausländer immerzu
die Lage der „Zigeuner“ thematisieren?
Ein Blick in
die deutsche Berichterstattung über die „Kulturhauptstadt Košice“ zeigt zu
Recht: Die Artikel sind voller Schreckensberichte über die Situation der hier
lebenden Roma.
Im Tagesthemen-Bericht vom 20.
Januar 2013, am Tag nach der Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt, lautet es sogleich
am Anfang: „Die slowakische Stadt Kosice ist neben dem französischen Marseille jetzt
offiziell europäische Kulturhauptstadt. […] Rund um Kosice herrscht große
Armut. Die ärmsten der Armen sind die Roma.“
Schätzungen zufolge leben 25.000
Roma in Košice, rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung. Längst ist das Wohnblockviertel "Lunik IX" zum Inbegriff der Roma-Problematik in Kosice geworden. Es ist Ende der 1970er Jahre entstanden und zählt zu den jüngsten
Plattenbausiedlungen der Stadt. – Doch Häuser, die ähnlich zerstört sind,
findet man hier kaum. Fehlende Fenster, ausgebrannte Türen, Müllberge stauen
sich vor den grauen Betonbauten. In der ursprünglich für 2400 Bewohner gebauten
Wohnsiedlung, leben heute schätzungsweise 7000 Menschen – oder mehr. So genau
kann das keiner sagen, denn fast jemand traut sich dort hin. In einem Haushalt
leben durchschnittlich 12-14 Personen. Nahezu alle Lunik IX-Bewohner gehören
der Roma-Bevölkerung an. In den 498 Wohnungen zahlt so gut wie niemand Miete. Als Konsequenz hat die Stadt dauerhaft fließendes Trinkwasser, den Strom
und die Heizung abgestellt.
Auch der Artikel der Onlineausgabe
der TAZ vom 23.03.2013 kritisiert die Situation der Ghettoisierung der
Roma aufs Schärfste: „In Lunik IX sind die Fassaden längst
abgefallen und der Kulturhauptstadt Kosice, die so stolz auf ihre
Minderheitenvielfalt ist, ist es offensichtlich völlig egal, dass sich mitten
in ihrer Stadt eine Tragödie abspielt, die das ganze Kulturmarketing von Košice
als den eigentlichen Schandfleck erscheinen lässt.“
Ich glaube den Bewohnern ist die
Situation der Roma alles andere als egal. Aber gerne reden sie nicht darüber,
wie auch die Vizebürgermeisterin Renata Lenartová im
Bericht auf 3sat eingesteht.
Die Ratlosigkeit der Bevölkerung
spiegelt sich in abstrusen Lösungsvorschlägen wider: von Deportationen nach
Indien, bereits durchgeführten Sterilisationen
von Roma-Frauen gegen Geld bis hin zum Vorschlag einer ansässigen Bewohnerin
„auf Lunik IX müsse man eine Bombe abwerfen“.
Vermutlich hofft die Kauschauer
Bevölkerung darauf, dass sich das Problem alsbald von selbst löst. Jährlich
verlassen zig Familien das Ghetto und suchen bessere Lebensbedingungen in den
westlichen Ländern der Europäischen Union. Die Schuldirektorin Anna Koptová,
die fast ausschließlich Kinder aus Lunik IX unterrichtet, spricht von sechs
Roma-Kindern, die im Laufe des letzten Schuljahres die Klasse verlassen haben. Dänemark,
Schweden, Niederlande, England und Deutschland sind beliebte Ziele. – Das
„Roma-Problem“ ist längst ein Europäisches.
Stelle ich einem Bewohner der
Stadt Košice die Frage, ob er eine Idee habe, was zu tun sei gegen die Armut,
die fehlende Bildung und die grassierende Arbeitslosigkeit der Roma, nimmt
unser Gespräch eine rasante emotionale Wendung. Unsere Diskussion endet dabei
immer mit der Erzählung eines persönlich erlebten Negativerlebnisses mit einem Roma.
Am Ende eines jeden Zwiegesprächs komme ich mir hilflos vor.
Ausländische Journalisten und
auch ich haben selbstverständlich nur unsere Außenperspektive. Es ist die
beschränkte Sicht auf ein Problem, welches seine lange Vorgeschichte hat. Selbstverständlich
ist es plakativ und medienwirksam auf die Schnelle nach Lunik IX zu fahren und
dort die Armut zu filmen. Schwieriger ist es, sich dem Thema auf vielschichtige
Weise zu nähern.
Wir kennen die Lebensbedingungen
der hier lebenden Menschen kaum. Wir gehen nicht zur pränatalen Vorsorge und
sehen zu, wie sich ein minderjähriges, hochschwangeres Roma-Mädchen ohne Ausweis,
ohne Versichertenkarte zu ihrer ersten Kontrolle bei einer Frauenärztin
vorstellt.
Wir ausländische Journalisten sind
finanziell besser gestellt. Wir können selbstverständlich nicht beurteilen, wie
es ist, nach über 40 Arbeitsjahren mit einer Rente von 200 € monatlich auszukommen.
Wir müssen nicht beim Sozialamt Schlange stehen und zusehen, wie arbeitslose
Roma-Eltern mit einer ganzen Kinderschar auftauchen und vor uns Sozialhilfe
einkassieren. – Und nein, wir sind auf unserer kurzen Durchreise durch die
Ostslowakei nicht zufällig von kleinen unschuldig dreinblickenden Roma-Kindern auf
ganz hinterhältige Weise bestohlen worden.
Aber dennoch sehen auch wir Ausländer
die rauchenden Trabentensiedlungen auf dem Land, sehen die Müllberge, in denen
Roma leben. Wir sehen die Löcher in den Wänden, die Roma (etwa mutwillig?!) ausgebrannt
haben. Wir erschrecken, dass selbst schon ein Kindergartenkind zu wissen glaubt,
dass „alle Zigeuner stinken und asozial sind“. – Wie können wir da wegsehen,
weghören?
Nicht zuletzt graut es gerade uns
deutschen Journalisten ganz besonders vor gesellschaftlich akzeptieren Unterscheidungen
zwischen „Weißen“ und „Zigeunern“. Ethnische Bezeichnungen fallen hier alltäglich
und so natürlich, dass die Bewohner von Košice diese gar nicht mehr wahrzunehmen
scheinen. Genau dafür ist der „Blick der Fremde“ gut. Auch wenn er manchmal schmerzhaft
ist.
Und doch: Das Kulturhauptstadtjahr
Košice bietet eine Plattform für Roma. Ihre Einbindung in das kulturelle
Programm ist zumindest in Ansätzen vorhanden. Sie geht über musikalische
Einlagen hinaus, wie nicht zuletzt eine im Frühjahr realisierte Foto-Ausstellung
„The Real People“ anschaulich
darstellt. Sie zeigt keine „Zigeuner“, sondern eine Reihe integrierter Bürger unterschiedlicher
Berufe mit Roma-Hintergrund. Solche Initiativen sind kleine Ansätze. Aber sie sind
wichtig. Mehr davon!
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