Diese etwas merkwürdige Frage
lockt mich durch das Tor von Vítez in einen versteckten Hinterhof der Kaschauer
Hauptgasse auf die Ausstellungseröffnung der argentinischen Künstlerin Julia Mensch.
Ich steige eine knarrende
Wendeltreppe aus Holz hinauf und gelange in den Wandelgang, der mich zu einer
kleinen Tür führt. Es ist der Eingang zum Pyecka Studio, eine junge Galerie, die sich auf Street Art und internationale Nachwuchskünstler spezialisiert hat.
Mein erster Blick fällt auf zwei Netzsäcke gefüllt mit roten Äpfeln. Es ist das
erste Exponat der Ausstellung „Salashi“. Der Ort "Salashi" ist zugleich Namensgeber und Thema der Ausstellung, in der die Künstlerin ihre eigene Familiengeschichte aufarbeitet. Die Räume im Pyecka Studio sind nur wenige Quadratmeter klein, doch die hohen gewölbten Decken
des neugotischen Altbaus lassen sie groß erscheinen.
Julia Mensch, eine zierliche
Person mit dunklen Haaren, steht angesichts der hohen Besucherzahl etwas
schüchtern in der Ecke des Ausstellungssaals. Julia beginnt den vielen
Besuchern ihrer Reise nach Salashi zu erzählen, zumindest jenem Teil, der
Englisch versteht.
Die Reise der Argentinierin auf
den Spuren ihres jüdischen und kommunistischen Großvaters Rafael beginnt vor acht Jahren in Buenos Aires und führt sie quer durch Europa bis in das ukrainische
Dorf Salashi, dem Geburtsort und die Heimat ihrer argentinischen Familie.
Ein beruhigendes Knacken dreier
alter Dia-Projektoren begleitet Julias Erzählung, die im regelmäßigen Rhythmus
Bilder an die Wand werfen. Kick-knack. Das nächste Foto erscheint. Es zeigt eine
Hütte inmitten von Wäldern, greise Frauen mit geblümten Kopftüchern und gefalteten
Händen vor ihren Häusern. Ein fremder Ort in einer anderen Zeit – oder ist die
Zeit dort einfach nur stehengeblieben?
Salashi, das ukrainische
800-Seelen-Dorf, umgeben von Bäumen und Wiesen, liegt wenige Kilometer vor
polnischem Gebiet und grenzt somit unmittelbar an die europäische
Schengen-Zone. Läuft man ein paar Kilometer durch das Walddickicht, stößt man
unwillkürlich auf Zäune und Wachposten der ukrainischen Militärbasis.
Die 33-Jährige ist dort auf der
Suche nach dem Geburtshaus ihres Großvaters. Julias Urgroßvater verlässt
1927/28 aufgrund einer großen Hungersnot das damals noch polnische Gebiet, mit
dem Versprechen seiner Familie ein besseres Leben in Südamerika zu ermöglichen.
1935 folgen ihm seine vier Söhne – allesamt minderjährig – per Dampfschiff,
darunter Julias damals achtjähriger Großvater Rafael. Die Mutter der Brüder
sitzt indes aufgrund illegalen Saccharin-Handels im Gefängnis fest. Nach ihrer
Freilassung überquert auch sie den atlantischen Ozean. In Buenos Aires beginnt
für Julias Großvater Rafael ein neues Leben – 45 Jahre später kommt seine
Enkeltochter Julia zur Welt.
Sie ist die Erste der Familie
Mensch, die in die ukrainische Heimat zurückkehrt. In Salashi findet sie nicht
nur das Geburtshaus ihres Großvaters – eine einfache Holzhütte, die heute als
Bibliothek im nahezu unveränderten Zustand dient – sie trifft auf ehemalige Bekannte ihres Großvaters Rafael, die sie willkommen heißen und auch gleich zu
hausgemachter Wurst und Schnaps ins Haus einladen.
Der Projektor wirft ein neues Bild an die Wand. Apfelbäume. Eine Wiese voller Äpfel. Moos, dichtes, hohes Gras. Malerische Natur. Eine vertraute Idylle. Julia umringt von Dorfbewohnern.
Die Menschen in Salashi leben in
einfachen Verhältnissen. Sie besitzen nicht viel. Doch das Wenige, was sie
besitzen, teilen sie. Und so kommt es, dass die Fremde in der Heimat ihrer
Ahnen, schwer bepackt, mit Säcken voller Äpfel, aber glücklich ihren Rückweg
antritt. Diese Erfahrung und auch ein paar der Früchte lässt sie nun auch in Košice
zurück.
Nachtrag
Die Fotos von Julia Mensch sind
noch bis Ende April im Pyecka Studio
zu sehen. Das Buch über ihre Reise liegt in spanischer Sprache, mit
englischer, slowakischer und ukrainischer Übersetzung vor.
Julia Mensch gehört zu einen der
„Artists in Residence“, die im vergangenen Jahr im Rahmen des K-A-I-R Programms
einen dreimonatigen Aufenthalt in Košice verbracht haben.
Ich bleibe noch eine Weile auf
der Ausstellung und beobachte tief versunken das Drehrad der Dia-Projektoren,
im Hintergrund vernehme ich Stimmengewirr unterschiedlicher Sprachen. Das leise
Gemurmel verebbt von einem Moment auf den anderen. Einige Mädchen singen ein
Volkslied in einer mir fremden, doch dem slowakisch ähnlicher Sprache. Alle
lauschen der Melodie, die in der Akustik der hohen Decken des Gewölbebaus zu
schweben scheint. Ein magischer Moment.
Von der 20-jährigen Natalia erfahre ich kurze Zeit später, dass sie und ihre Freundinnen zur ruthenischen Minderheit gehören. Mit rund 3000 Ruthenen im Bezirk Košice stellen sie nach Ungarn, Roma und Tschechen die viertgrößte Minderheit in der Ostslowakei dar.
Die 21-jährige L’udmila sagt mir, ihr sei zu Ohren gekommen, Deutsche würden auf Hochzeiten an einem einzigen Glas nippend den ganzen Abend verbringen und fragt mich, ob das denn wirklich wahr sei. Sie lädt mich ein Ende Juni zum zweitägigen Kultur- und Sportfestival in ihre Heimat Medzilaborce zu kommen (hier zum Artikel über meinen Besuch). Dort würde ich lernen, wie man richtig feiere und trinke. Na zdaróvie!
Fotos : Michaela Bottková
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