Sonntag, 23. Juni 2013

Kuba Flair in Košice



Mit seinen terrakotafarbenen Fassaden, dem morbiden Charme abblätternden Putzes, weiß getünchten Kirchen und robusten Steinmauern, verbreitet Kaschau an so manchen Ecken das trügerische Bild eines alten Fischerdorfes... 

Ein Hauch von Kuba oder Mittelmeer? - Die Kaschauer selbst wollen darüber nur schmunzeln...









Teilen

Freitag, 21. Juni 2013

Halbzeit





Es ist Halbzeit. Zweieinhalb Monate sind vorüber – zweieinhalb Monate verbleiben mir noch. Inzwischen bin ich hier zuhause. Am liebsten würde ich gern die Zeit aufhalten, so wohl fühle ich mich in meiner neuen-alten Heimat. Thomas Manns Ansicht, dass Reisen das einzig Taugliche gegen die Beschleunigung der Zeit sei, kann ich bei bestem Willen nicht teilen. Eher fühle ich mich seit meiner Ankunft in der Kulturhauptstadt wie eine Getriebene von all den Eindrücken, die mir nachts durch den Kopf wirbeln nach einem ereignisreichen Tag voller interessanter Begegnungen.

Ich habe mich inzwischen an Vieles gewöhnt: an die Klänge von Geigen und Trompeten, die morgens aus der Musikschule zu meiner gegenüberliegenden Dachwohnung des ungarischen Theaters, das Sándor Márai Studio, drängen an die hohen Bordsteine, die löchrigen, mit Asphaltblasen versehenen Straßen, über die ich mit meiner scheppernden Rostlaube rumpele. An heißen Tagen genieße ich den böigen warmen Wind ganz besonders, der immerzu durch den Kaschauer Kessel, das Tal der Westkarpaten, zieht. 



Ich erfreue mich am Anblick der lächelnden Trachten-Oma, deren Kopftuch ihr wettergegerbtes Gesicht umrahmt. Tag für Tag verkauft sie Blumen an ihrem Marktstand auf dem Dominikaner-Platz. Ich gewöhne mich allmählich an die langen, dünnen, halbnackten Beine auf schwindelerregenden High Heels, die über die Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen stolzieren. Nachmittags vernehme ich das Sprudeln des farbig beleuchteten Wasserspiels auf der Hauptgasse am Elisabethdom. Abends tänzeln die Fontänen rhythmisch zur Melodie von „Yesterday“ auf und ab. Daneben schlendern zu jeder Tageszeit in aller Gemütlichkeit Eiscreme schleckende Passanten.

Ich ärgere mich nicht mehr über gelangweilt dreinblickende, kaugummikauende Verkäuferinnen, die ihre 8-Stunden-Schichten hinter dem Tresen abtelefonieren. Lieber erfreue ich mich am andersartigen Geruch in den Supermärkten, der meine Nase durchströmt. Ich kenne schon den Geschmack des slowakischen Räucherkäses, des sahnigen Bauernjoghurts und des weichen, ungesalzenen Brotes. 

Selbst den 60-prozentigen Sliwowitz meines Großvaters aus hauseigenen Pflaumen kriege ich inzwischen problemlos herunter – und das noch vor unserem sonntäglichen Mittagessen! Währenddessen erzählt mir mein Großvater mit erhobenem Zeigefinger, dass sein Schnaps die beste Vorsorge gegen alle möglichen gesundheitlichen Beschwerden sei. Auch den süßen Sünden meiner Großmutter, die sie mir in einer Schachtel zärtlich verpackt auf den Heimweg mitgibt, kann ich selten widerstehen…

In der „Dobrá Čajovná“ („Gute Teestube“) auf der Fleischergasse heißt mich der Duft der Wasserpfeifen willkommen, wenn ich die Treppen zu meinem Yoga-Kurs emporsteige. Einzigartig ist auch die Dampflokomotive "Katka", die durch das Čermel-Tal am Stadtrand von Kaschau pfeift. Der Rauch verbrannter Kohle dringt bis zum Waldweg hindurch, meiner Joggingstrecke inmitten der Natur. 


Ich schnuppere die Luft nach dem Regen in Kaschau, die ganz anders riecht, als in Hamburg. Eine eigenartige Atmosphäre stellt sich ein nach dem sommerlichen Platzregen mit Donnerschlägen, die ähnlich wie Betonwände nach einer Sprengung mit ohrenbetäubendem Getöse herunterbrechen. Urwaldfeeling inmitten urbaner Plattenbaukulisse! – An all das habe ich mich jetzt schon gewöhnt, und möchte es kaum mehr missen. Zweieinhalb Monate bleiben mir noch. Zum Glück.
Teilen

Mittwoch, 19. Juni 2013

Interview in der Kulturzeitung "Zajtrajšie noviny"


Als Lucia Zacharová, die Chefredakteurin der Kulturzeitung "Zajtrajšie noviny", zum ersten Mal von der Existenz einer "Stadtschreiberin" hörte, hatte sie prompt eine wunderliche, alte Dame mit einer Taube auf der Schulter vor Augen, die jeden Winkel der Stadt auswendig kennt und gerne aus dem Nähkästchen plaudert. Umso erfreuter war sie bei unserem ersten Treffen, denn ich entsprach nicht wirklich ihren Vorstellungen...

Der Artikel "Wer ist unsere Stadtschreiberin" ist hier auf Slowakisch nachzulesen, dank freundlicher Genehmigung der Zeitung "Zajtrajšie noviny". (Seite 4 der Ausgabe Nr.12) Auf der Seite befindet sich auch meine neue Rubrik, die ich von nun an mit meinen eigenen Worten im 2-Wochen-Rhythmus füllen darf. 

Das Interview in deutscher Sprache:

Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit in Košice?

Meine Erinnerungen basieren auf Fotos und Videos, die mein Großvater in seinem Ferienhaus von seinen Enkelinnen aufgenommen hatte. Ich erinnere mich zudem an Ferien auf einer Waldhütte im "Slowakischen Paradies". In meinen Kindheitsvorstellungen war die Slowakei ein Land unberührter Natur. In Košice selbst erinnere ich mich an Eiscreme aus der lokalen Kette AIDA und slowakischen kulinarischen Spezialitäten, wie einem Honigbärchen für Kinder, hausgemachten Kuchen meiner Großmutter, Apfel- und Mohnstrudel... Auf Familienfesten wurde bei uns viel gesungen. Ich habe fröhliche, familiäre und kulinarische Erinnerungen, geprägt von Erlebnissen in der Natur.

Den Honig aus der Flasche gab es schon vor über 30 Jahren
Total(itär)e Nostalgie

Ersetzte nach eurer Emigration die deutsche Sprache deine slowakische Muttersprache?

Ganz bestimmt. Als Dreijährige sprach ich recht wenig Slowakisch. Ich habe nie Unterricht in slowakischer Sprache besucht, noch habe ich je richtig die slowakische Grammatik und Rechtschreibung gelernt. In Deutschland war unser erstes Ziel sich zu integrieren und gut Deutsch zu lernen. Ich hatte sogar als Kind eine Phase, in der ich die slowakische Sprache abgelehnte. Meine Großmutter musste eine Zeitlang ein paar Brocken Deutsch lernen, damit wir uns verständigen konnten. Aber als Erwachsene ist mir bewusst geworden, dass es ein Geschenk ist eine zweite Muttersprache zu beherrschen. Mit meiner Mutter unterhalte ich mich seitdem in einem Mix aus Deutsch und Slowakisch.

Fallen dir die Veränderungen in Košice auf?

Die Stadt hat sich von der architektonischen Seite sehr verändert. Jedes Jahr wächst hier etwas Neues. Vorallem die Einkaufszentren fallen auf. Nach und nach verschwinden die kleinen Läden, obwohl einige der sozialistischen Tante-Emma-Läden immer noch existieren. Wie z.B. die Drogerie mit Verkaufstresen auf der Fleischergasse oder der Papierwarenhandel auf der Mühlengasse- und das neben den großen internationalen Ketten, die auf der ganzen Welt zu finden sind. Diese Kontraste finde ich spannend! 

Papierwarengeschäft auf der Mühlengasse
Drogerie auf der Fleischergasse
Was gefällt dir noch in der Stadt?

Ich bin ehrlich gesagt überrascht über das kulturelle Angebot, denn es wirkt wirklich großstädtisch. Zum Beispiel auf dem Festival „Use the City“ war ich beeindruckt von dem interessanten Programm, den Installationen, der Atmosphäre. Das Kulturangebot ist wirklich groß, obwohl die Stadt im Vergleich zu Hamburg ja recht klein ist. Die vielen Hinterhöfe und Gassen im historischen Zentrum haben zum Teil ein mediterranes Flair. Die Stadt könnte ebenso provinziell wirken, aber das ist sie keineswegs. Sie verdient sich ihren Titel als Kulturhauptstadt. Eine Reihe der Festivals existieren bereits seit einigen Jahren. Hier ist es ganz selbstverständlich binnen 24 Stunden ein jüdisches Klezmer Musikkonzert sowie einen Auftritt des Romathan Theaters zu erleben. Unterwegs in der Stadt vernehme ich viele Fremdprachen: ungarisch, deutsch, englisch, russisch. Das hat Großstadtcharakter!

Fühlst du dich in Košice jetzt schon zuhause?

Inzwischen schon. Dazu hat mein Fahrrad wesentlich beigetragen. Wenn ich durch die Innenstadt fahre, habe ich das Gefühl, dass es auch meine Stadt ist. Zudem verbringe ich die Sonntage bei meiner slowakischen Familie, mit der ich jetzt zum ersten Mal mehr Zeit verbringen kann.

Was ist dein Ziel während des mehrmonatigen Aufenthaltes in der Ostslowakei?

Ich schildere hier meinen persönlichen Erlebnisse in Košice. Dabei erforsche ich die Stadt aus kultureller und historischer Perspektive. Ich möchte dabei auch längst vergessene Geschichten der Stadt erzählen. Hierfür arbeite ich an einem Filmprojekt. Mich interessieren die Geschichten der Bewohner, wie sie die vielen politischen Umbrüche in der Stadt seit der ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) bis heute erlebt haben, und wie diese sie in ihrem eigenen Leben beeinflusst haben. (...)

Sind die Bewohner denn bereit ihre Erinnerungen und Ansichten preiszugeben?

Ja, die Menschen treten mir offen gegenüber, sie nehmen sich Zeit für mich. Die Leute sind hier nicht so sehr in Eile und nehmen sich auch nicht allzu ernst. Kaschauer sind selbstironisch und redebereit. Meistens ist es kein Problem mich binnen weniger Tage mit jemanden zu verabreden. Ich muss auch zugeben, dass mir meine Familie oftmals viele Türen öffnet. Hier kennt einfach jeder jeden. - Mein großes Glück.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lucia Zacharová



Foto: Lucia Zacharová

Teilen

Freitag, 14. Juni 2013

Klezmer in Kaschau



Ich sitze mit Pavol Šalamon, dem Kontrabassisten der „Kaschauer Klezmer Band“, im strahlenden Sonnenschein auf der Terrasse des Café Schalkház auf der Fußgängerzone der Hauptgasse. An uns ziehen nach und nach mehrere Chöre in Trachtenkleidern vorüber. Alle zehn Meter bleiben sie stehen und geben ein Ständchen zum Besten. Die Frauen verschränken dabei ihre Arme und schwingen die Hüften mit ihren farbigen Röcken. Ab und zu ertönt dabei ein fröhliches Jauchzen.

Wir unterbrechen für einen Moment das Gespräch und beobachten das Treiben. Es ist eines dieser vielen überraschenden Momente, denen ich in Kaschau Zeuge werden darf: wieder eine neue völlig unbekannte Welt, die ich nur fasziniert beobachten kann. Bei dem diesjährigen „Sempliner Majáles“ ziehen ein Dutzend Chöre des „Kaschauer Sempliner Vereins“ durch die Fußgängerzone.

Dazu ist es heute auch noch einer dieser warmen Vormittage, an denen man sich am besten einfach auf die Hauptgasse pflanzt, eine Tasse ausgesprochen guten Espresso genießt (denn auf ihren "Presso" legen die Kaschauer großen Wert!) und die vorbeiflanierenden Menschen beobachtet. Eines fällt auf: in Kaschau haben die Menschen Zeit. – Ein seltenes Gut, was in Paris, Berlin, New York oder anderswo kaum noch anzufinden ist. Hier habe ich noch niemanden hektisch durch die Straßen hasten gesehen. 

Mit meinem Gesprächspartner lasse ich mir nun ganz nach Kaschauer Art die Sonne ins Gesicht scheinen. Pavol Šalamon erzählt mir indes die Gründungsgeschichte seiner Kapelle, die größtenteils aus Freizeitmusikern wie ihm besteht. Vor zwei Jahren rief ihn sein Bandkollege, der Klarinettist Vlado Sidimák auf, eine Klezmer Kapelle ins Leben zu rufen. Sie studierten an langen Abenden alte Platten mit Klezmer Musik. Inspiriert von den Stücken des Komponisten Ferenc Jávori der Budapest Klezmer Band, stellten sie ihre eigenen Stücke zusammen. Diese klingen für meine ungeübten Ohren wie eine Mischung aus russischen und arabischen Melodien, Balkanbeats und ein Hauch ostslowakischer Folklore.



Klezmer entstand irgendwo in Osteuropa in Gemeinden mit hoher jüdischer Bevölkerungsdichte irgendwann zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert – so genau kann das heute keiner mehr sagen. In jüdischen Vierteln Polens, Weißrusslands, Rumäniens, der Ukraine oder der heutigen Ostslowakei spielte die Klezmer-Musik eine zentrale Rolle im Alltag der Juden. Ein Sprichwort besagt demnach: „Eine Hochzeit ohne Klezmer ist schlimmer, als eine Beerdigung ohne Tränen.“ Der Begriff Klezmer kommt aus dem Hebräischen und setzt sich aus den beiden Wortsilben „kley“ (Gefäß) und „zmer“ (Melodie) zusammen. Frei übersetzt also „Musikgefäß“ oder „Musikinstrument“.

Die Kaschauer Klezmer Band spielt nicht ausschließlich auf jüdischen Veranstaltungen – ganz im Gegenteil. Ich selbst traf die Kapelle bereits auf zwei Konzerten: einmal im „Haus der Künste“ (Musikhaus) und ein anderes Mal bei einer Eröffnungsfeier in der ostslowakischen Kunstgalerie

Die Zusammensetzung der Kapelle ist eine typische Kaschauer Mischpoke: „Unsere Musiker kommen aus unterschiedlichen Ecken der Slowakei und sprechen verschiedene Sprachen“, sagt Pavol Šalamon. Mit ihrer Musik will die Musikkapelle schlichtweg Menschen erreichen, „Das Schöne an Musik ist, sie überwindet nationale Grenzen und sprachliche Barrieren!“ 

Im Rahmen des jüdischen Kulturfestivals Mazal Tov! (18-22.07) wird die Kaschauer Klezmer Band als Vorgruppe der Budapest Klezmer Band am 20. Juli im historischen Rathaus von Kaschau (auf der Hlavná/ der Hauptgasse 59) auftreten.
Teilen

Mittwoch, 12. Juni 2013

Die Drachensage auf Mantakisch

"De metzenseifna Kiech"

Der dreizehnjährige Matej Drábik aus Metzenseifen feilt gemeinsam mit dem Stadtchronisten Walter Bistika an den letzten Feinheiten der mantakischen Aussprache.


Hier zum Nachhören:




Der Metzenseifner Heimatdichter Peter Gallus (1868-1921) hat die Drachensage im mantakischen Dialekt in der Ballade "De metzenseifna Kiech" festgehalten:  

"Bo itzt de Kiech steht
duet boa a grosse Sott
ond me—en en Gesüda,
duet hot a Drach gebohnt.
Dea Drach hatt dreuzehn Haapa,
hot Feua ond Flamm gespeit,
hot andas nüscht gefressen,
als Metzenseifna Leut."

Die Szene mit der Puppe und dem Pech lautet:

"Noch vilen langen Bälzen
hot en es Peech zetriim,
von Drach es andas goa nüscht,
non Staab ond Äsch gepliim.

Vom Feua bos-a gespeit hot,
es de Sott schö- ausgetreugt
ond es a schöna Platz boan
ond es a Platz noch heut."
Teilen