Unsere Tour beginnt an einem Eckhaus auf der Hauptgasse, an der Kreuzung zur Alžbetina Straße. Die Fenster sind mit Reklamen beklebt. An der zartrosanen
Fassade sind noch die Abrissspuren des ehemaligen Straßenschildes
„Leningasse“ deutlich zu erkennen. Es ist offenbar hastig nach der Revolution entfernt worden.
Das Eckhaus ist jedoch noch aus anderen Gründen interessant. Auf einer kleinen
Tafel hinter Plexiglas weist ein Foto aus dem Jahr 1989/90 darauf hin, dass hier
die „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (slowakisch Verejnosť proti násiliu, Abk. VPN) und das Prager „Bürgerforum“ ihren
regionalen Sitz innehatten. Die im November 1989 gegründete VPN war die zentrale
slowakische Oppositionsbewegung gegen das kommunistische Regime zur Zeit der Revolution.
Weiter geht es über den
Dominikanerplatz in Richtung Mäsiarska. An der Fassade mit der Hausnummer 32 treffen
wir auf eine Tafel mit der Aufschrift „Robotnicky Dom“- Haus der Arbeiter. Wir
laufen in Richtung Nordstadt bis zum Torbogen der ehemaligen Tabakfabrik auf
der Strojárenská 1. Über dem Eingangstor zum Innenhof des Gebäudekomplexes,
welches von der Kaschauer Bevölkerung liebevoll „Tabačka“ genannt wird, erkenne ich
den Abdruck des roten Sterns. Merkwürdig, welche Ausstrahlung diese Zeichen haben,
die so hastig entfernt werden mussten. Für einen Neuanstrich war dann aber kein
Geld mehr…
Wir kehren zurück ins Zentrum entlang
der Kováčska (Schmiedergasse),
einer Parallelstraße der Hauptgasse, und machen Halt auf der Zvonárska (Glockengasse) 15. Dort
finden wir eine Tafel zum Gedenken an den ungarischen Kommunisten
Aladár Komját. “In diesem Haus wurde am 11. Februar 1891 der bedeutende,
ungarische kommunistische Dichter, Publizist und Revolutionär und Internationalist
geboren,“ ist in Großbuchstaben geschrieben. Das schmale Gesicht der Skulptur auf der Tafel und die eingefallenen Augenhöhlen erinnern
mich an Giacomettis Bronzeköpfe.
Wenige
Schritte entfernt von
einer Glocke, schlendern wir durch
das
mediterrane Flair der Glockengasse. Der nur wenige Meter breite gepflasterte Weg wird
gesäumt
von pastellfarbenen Häusern aus dem 19. Jahrhundert und der orthodoxen
Synagoge aus dem Jahr 1883. Es ist die älteste erhaltene Synagoge Kaschaus. Wir befinden uns im Zentrum des ehemaligen jüdischen
Viertels. Auf der Terrasse der Café-Bar „Smelly Cat“ sitzen
Krawattenträger
mit aufgeschlagenen Zeitungen, ein Trio junger Frauen schlürft
ausgelassen an den Strohhalmen ihrer Limonaden. Ein Hauch von Italien oder Südfrankreich
umgibt uns und fast wären wir vorbeigelaufen, an den wenig einladenden
Vitrinen
der Kneipe „Nositel Radu Práce“ - frei übersetzt: "Ordensträger guter Arbeit".
Als wir eintreten in den dunklen
Raum, schwebt uns der bleierne Geruch von Bier und Zigarettenqualm entgegen.
Meine Augen müssen sich zunächst an das Dunkel gewöhnen. Es ist, als betreten
wir eine andere Welt. Ein einsamer Mann mit Schnurrbart sitzt seit sichtlich
geraumer Zeit an seinem halbvollen Rotweinglas, den Kopf gestützt auf seinem
rechten Ellenbogen. Mit melancholischem Blick hängt er mit seinen Gedanken im
Raum, ohne uns zu bemerken. Über ihm an einer Wand ist ein Plakat mit Liedtext und Noten der "Internationale" befestigt, offensichtlich ein Mitbringel aus einer Schule. Daneben hängen Bilder der tschechoslowakischen Präsidenten: Beneš,
Gottwald, Zápotocký, Novotoný, Svoboda, Husák und Havel.
Eine Gruppe Männer unterhält sich
derweil im Nebenraum angeregt unter bunten Postern von Marx und Engels. Auch sie
lassen sich von unserem Besuch nicht stören. Mein Begleiter bemerkt schmunzelnd,
wie mir die Kinnlade herunterfällt angesichts der im Raum drapierten Gasmasken
und sowjetischen Soldatenuniformen. Selbst die Damentoilette hält Einzug einer
roten Fahne.
Die
Kellnerin
hinter der Theke verkauft uns einen Orangensaft und ein Bier für 80
Cent und erzählt uns, dass diese Kneipe erst seit 2000 existiert.
Seither
bestücken die Bewohner sie mit nostalgischer Hingabe mit gesammelten
Andenken
aus dem Eigenheim. Das Ordnungsamt schaut zwar ab und zu vorbei, lässt
den
Eigentümer aber in Ruhe. Die Verwendung und Verbreitung
sichtbarer kommunistischer wie faschistischer Symbole ist bis zu mehrjähriger Haft strafbar, doch
„aus Spaß dürfen sie in der Kneipe
hängen“, sagt uns die Kellnerin. Ob auch die Stammgäste hier nur aus
„Spaß“ einkehren, ist zu bezweifeln.
Was zudem ein Bild von Georg W. Bush jr. und seiner Ehefrau mit persönlicher
Widmung in der Bar zu suchen hat, konnten wir bis heute nicht genau klären…
Weiß jemand Näheres zu den Gedenkstafeln? Ich freue ich mich auf Kommentare auf diesem Blog oder E-Mails an forbat@kulturforum.info.
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