Freitag, 31. Mai 2013

Use the City!


Im Mai summt und musiziert es im Kaschauer Kessel. Jeden Tag pünktlich um 8 Uhr weckt mich eine weibliche Stimme, die die Tonleiter herauf und herunter singt. Ihre morgendliche Aufwärmübung ist mir inzwischen heimisch und vertraut. Wenn ich mich auf meinen blauen Pegasus schwinge und über die Promenade sause, lausche ich mit gespitzten Ohren den sanften Klängen, die aus den Musikschulen durch die geöffneten Fenster drängen. Hier der Laut einer Geige, dort trötet eine Trompete.

 - Die ganze Stadt ist ein Musikkonzert! Ein Festival jagt das nächste. Im Rahmen des „Use the City Festivals“ spielten zwischen dem 22. und 24. Mai über 40 Bands in der Innenstadt. Zahlreiche Schauspieler und Künstler stellten ihr Können mitten auf der Fußgängerzone unter Beweis. Freitagabend standen an jeder Ecke auf der Hauptgasse, in den Hinterhöfen und Seitengassen kleine Zelte mit musizierenden Kapellen. Trotz des kühlen Regenwetters wiegten sich die Besucher mit seligem Lächeln im Rhythmus der Gitarren. 


Das „Use the City Festival“, welches in diesem Jahr zum fünften Mal in Folge stattfindet, bringt Kunst, Musik und Theater auf die Straße. Laien wie Profis treten auf öffentlichen Plätzen auf und binden die Besucher in ihre Performance mit ein. So hat auch die unabhängige Kaschauer Theatergruppe „Na peróne“ („Auf der Plattform”) gemeinsam mit dem französischen Ensemble „Là Hors De“ aus Lyon am Freitagabend auf mehreren Quadratkilometern ein interaktives Performancestück aufgeführt. Mit Masken tanzten sie auf Stühlen, zerrissen Bücher in Stücke. Es ging politisch zu: Von Sándor Márai über Zensur zum Exil. In dem Stück ging es um Vertreibung, Flucht, Migration und Menschenrechte.


In der nächtlichen Finsternis der Stadt mit düsterer Plattenbaukulisse folgten wir, die rund Einhundert Zuschauer, nichtsahnend einer Truppe Künstlern, die springend, kletternd und tanzend, ein riesiges Areal leerstehender Fabrikhallen für sich einnahmen.

Als anfänglich unbeteiligte Zuschauerin fand ich mich plötzlich in einem Eisengitterkäfig wieder, eingepfercht auf engstem Raum mit etlichen weiteren Besuchern, die sich alle dieselbe Frage stellten: Was geschieht mit uns? Wir alle trippelten wie kleine Schäfchen in einen Korridor, dessen Gitterwände sich urplötzlich vor uns verschlossen und uns zu Gefangenen machten. Die Schauspieler befanden sich unter uns. Quer verteilt in den Käfigen riefen sie im verzweifelten Tonfall nach Namen und fragten uns nach Personen, die wir nicht kannten. Etwas hilflos überließen wir uns dem Geschehen.

Wie ungemütlich es plötzlich geworden war, sich nicht mehr visuell berieseln zu lassen, sondern mittendrin in einem Theaterstück zu stecken, dessen Ausgang wir nicht kannten. 


Am Rande der Käfige standen „Wächter“ mit vermummten Gesichtern, die sich rhythmisch auf die Beine schlugen. Sie trugen Camouflagehosen, blickten stumm über ihre gefangene Meute hinweg und blitzten mit Taschenlampen in unsere Augen. Mit einem Satz sprangen sie wie wilde Tiere alle gleichzeitig an die Käfigwände. Alles verstummte und erzitterte. Dann strichen sie mit den Taschenlampen übers Eisengitter, sodass ein ohrenbetäubendes Getöse erklang. 

Wie einfach es gewesen ist, uns in die Falle zu manövrieren, dachte ich mir immer wieder. Dabei stieg mir eine Erinnerung vom Anfang der Woche wieder in den Sinn, die mir die Kehle zuschnürte…

Fotostrecke 

Das Performancestück "Step by Step" der beiden Theaterensembles "Na peróne" aus Kaschau und "Là Hors De" aus Lyon




 

Fotos: Tomáš Bachura / Košice2013

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