„Fühlst du dich hier Zuhause in der Stadt?“,
werde ich oft gefragt. Mit "hier" ist Košice/Kaschau gemeint, die slowakische Stadt, in der ich zufällig geboren wurde. Zuhause. - Ist es das wirklich? Heimat. Welche Bedeutung kommt ihr zu, wenn Menschen meiner Generation ständig ihre
Tasche packen und sich auf den Weg machen zum nächsten Projekt. Immer auf Achse.
So frei und doch so rastlos zugleich.
Neulich traf ich Peter Korchnak aus Portland,
Oregon. Der gebürtige Kaschauer verließ vor zehn Jahren der Liebe wegen den europäischen Kontinent. Peter erzählte mir, wie er vor Kurzem seinen Job kündigte, sein Haus und Auto verkaufte, und nun ein
Jahr lang mit seiner Ehefrau durch die Welt reist. Seiner Meinung nach ist Zuhause
dort, wo die eigene Zahnbürste ist. Darüber schreibt er auch auf seinem Blog.
Es stimmt, viel Materielles braucht es
gar nicht, um sich wohl zu fühlen, solange einen die Menschen herzlich
empfangen. Auf einen Gegenstand könnte ich dennoch nie verzichten: Bei meinem Auszug aus
dem Elternhaus bekam ich einen kleinen Espressokocher. Er begleitet
mich seitdem auf Schritt und Tritt. Bei jedem Umzug landet er in meinem
Rucksack. Und das schon seit acht Jahren.
Immer auf dem „Sprung“ zu sein und mit
wenig Gepäck zu reisen, kennt auch József Tamás Balázs, kurz BaJóTa. Der ungarische Künstler hat ebenso
wie ich für ein paar Monate in Košice Unterschlupf gefunden. Seinen Aufenthalt verdankt
er dem internationalen Programm „K.A.I.R. – Košice Artists in Residence“. Das mehrmonatige
Stipendium für Nachwuchskünstler beherbergte seit dem Jahr 2010 etwa 30 ausländische Künstler und schickte 20 junge
Slowaken in die Welt.
Ich erinnere mich noch ganz genau, wie
ich BaJóTa das erste Mal im Fabricafe der „Tabačka Kulturfabrik“* begegnete. Es war Mitte April
und BaJóTa, „der Neue“ Artist in Residence aus Budapest wandelte lautlos ins
Café. Sein Gang war so unauffällig, als schwebte er über den Boden. Seine Art
sich zu bewegen und zu reden war behutsam und bedächtig. Auf
Anhieb erweckte BaJóTa meine Sympathie.
Wir unterhielten uns über sein
künstlerisches Projekt in Košice. Im Unterschied zu anderen kreativen Geistern,
versank BaJóTa nicht in ellenlangen Selbstreflexionen über sein Werk, deren
tieferen Sinn ich nur im Entferntesten erahnen konnte. Er sinnierte hingegen darüber,
wie er seine großen, sperrigen Arbeiten nach Ausstellungsende von A nach B transportieren
werde. Der junge Bildhauer berichtete von auseinandernehmbaren Holzelementen
und handlichen Papierfalttechniken. Fast enttäuscht war ich von solch unfassbarer
Bodenständigkeit eines Künstlers und bemerkte dabei gar nicht, dass die Ausführungen Gegenstand seines eigentlichen Projektes waren. Zugleich waren
sie auch seine intimsten Gedanken und Zweifel. Denn der Künstler erzählte von seinem
rastlosen, zuweilen ratlosen Dasein, der fortwährenden Mobilität und Flexibilität, die er sich selbst abverlangte.
Letzte Woche konnte ich mir ein Bild davon machen, als BaJóTas Ausstellung in einer Halle auf dem Gelände der ehemaligen Tabakfabrik eröffnet wurde.
Der Künstler schreibt über seine Arbeit: “I deal with the subject of
leaving your homeland. The keywords linked to the concept of the installation
are: home and wanderlust, social integration, modern migration and cultural
globalisation.”
BaJóTa in seinem Studio |
BaJóTa inspirieren die mobilen Holzzäune aus seiner Heimat im
ländlichen Transsilvanien, mit denen Schafhirten von Wiese zu
Wiese zogen. Diese mobilen Zäune und Schindeldächer aus Kiefernholz sind ihm seit
Kindesbeinen vertraut. Für das Studium verließ BaJóTa seine
Heimat. Jetzt holte er sie ganz nah zu sich zurück, und zwar direkt auf
den Rücksitz seines kleinen roten Fiats. Ende August zieht BaJóTa mit seinen Kunstwerken weiter.
Auf, zum nächsten Projekt.
Nachtrag
BaJóTas Ausstellung „Utopiatrap“ ist dienstags bis donnerstags von 17-19 Uhr bis zum 31.August zu sehen. (Ort: Strojárenska 3, durchs Eingangstor gelangt man über zwei Innenhöfe zur Ausstellung)
BaJóTas Ausstellung „Utopiatrap“ ist dienstags bis donnerstags von 17-19 Uhr bis zum 31.August zu sehen. (Ort: Strojárenska 3, durchs Eingangstor gelangt man über zwei Innenhöfe zur Ausstellung)
Das leerstehende Fabrikgelände
wird von selbständigen Künstlern,
Designergruppen u. a. für ihre Arbeiten zu günstigen Mietpreisen
genutzt. Die Räumlichkeiten gehören dem Kulturzentrum des Selbstverwaltungsbezirkes Košice, welches dort auch ansässig ist.
Im Innenhof der ehemaligen Tabakfabrik |
*Die „Tabačka Kulturfabrik“, befindet sich auf dem Gelände der
ehemaligen Tabakfabrik in der Nordstadt. Sie hat sich zu DEM Treffpunkt für die junge
Künstlerszene entwickelt und stellt das alternative Pendant zur städtischen „Hochkultur“
dar. Neben Parties, Filmabenden, Theatervorstellungen und
Vorträgen organisiert sie jährlich das Open Air Festival POKEfest. Die „Tabačka“ bringt ein Stück Industriekultur nach Košice und ist ein lebendiger,
unabhängiger Raum für junge Kreative.
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