Freitag, 30. August 2013

Unterwegs in Miková – auf den Spuren von Andy Warhol



Vor nicht allzu langer Zeit besuchte ich im Nordosten der Slowakei die kleine Ortschaft Miková. Die 150-Seelen-Gemeinde liegt rund 7 Kilometer von Medzilaborce entfernt, versteckt in einer bewaldeten, nahezu unberührten Hügellandschaft der Niederen Beskiden. Aus Miková stammen Andy Warhols Eltern Andrej und Júlia Warhola (geb. Zavacká).

Will man sich in dieser Region auf die Spuren Andy Warhols begeben, muss man nicht allzu lange suchen. Bereits bei meiner Ankunft in der nächstgrößeren Stadt Medzilaborce begrüßt mich auf einer Tafel das in knalliges Gelb getauchte Konterfei Andy Warhols. Es wirbt für die schräg gegenüber stehende „Penzión Andy“. An jeder Ecke weisen Schilder auf den berühmtesten Sohn der Region hin. 


Die Einwohner von Medzilaborce beobachten mit Verwunderung den Rummel um diese fremde Berühmtheit mit russinischen Wurzeln, die in ihrem Viertel nahezu jeden Laternenpfahl schmückt. Andy Warhol ist hier weder geboren, noch setzte er Zeit seines Lebens je einen Fuß in die Gegend.

Als ich mit meiner russinischen Freundin Natália auf den Eingang des „Museums moderner Kunst Andy Warhols“ zugehe, beäugt uns auf dem großzügig betonierten Vorplatz eine Handvoll männlicher Gestalten. Sie wollen sofort von uns wissen, woher wir kommen. In der beschaulichen Ortschaft Medzilaborce spricht sich schnell herum, wenn mal wieder eine ausländische Touristengruppe aus „dem Westen“ den weiten Weg hierher gefunden hat, um den gigantischen Würfel namens „Museum moderner Kunst Andy Warhols“ zu besichtigen.


Viele der knapp 7000 Menschen in Medzilaborce haben das Museum seit seiner Gründung von vor 22 Jahren noch nie von innen gesehen, wie mir die Mutter von Natália berichtet. Dabei ist es das einzige Museum in ganz Europa, welches so gut wie ausschließlich Andy Warhols Werke in seiner ständigen Sammlung ausstellt. In Pittsburgh, Andys Geburtsort im US-Bundesstaat Pennsylvania, wurde erst drei Jahre später, im Jahr 1994, das Andy Warhol Museum, eröffnet.


Hier in Medzilaborce sind wir heute mit zwei weiteren Neugierigen die einzigen Besucher. Wir steigen eine bunt geblümte Treppe hinauf und stoßen auf der ersten Etage auf persönliche Gegenstände des Künstlers. Seine Brille, sein Taufhemd, persönliche Fotografien und auch sein Fotoapparat sind hier ausgestellt. Etwas unauffällig an einer Eckwand erblicke ich Werbekampagnen für vergangene Volkszählungen in der Slowakei. Diese wollen mit Hilfe Andy Warhols die Menschen im Nordosten des Landes davon überzeugen, sich zu ihrer russinischen Identität zu bekennen.


Ob sich der Künstler Zeit seines Lebens wirklich selbst zu seinen russinischen Wurzeln bekannt hätte, ist fraglich. „I come from nowhere,“ war Andys berühmte Floskel auf die Frage nach seiner Herkunft.

Wir betreten zahlreiche abgedunkelte Säle. Erst im Inneren des Museums wird mir bewusst, wie groß das Gebäude und die Sammlung Andy Warhols in Medzilaborce wirklich sind. Überall prangen seine Bilder an den Wänden, selbst die Tapeten sind bunt gemustert mit Ikonen oder dem Gesicht des Künstlers. Die schrillen Farben, die sich immer wiederholenden Motive haben eine meditative, fast einschläfernde Wirkung auf mich. – Oder liegt dies am fehlenden Tageslicht?

Eine Stunde später machen wir uns auf nach Miková. Von hier sind Andy Warhols Eltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die USA aufgebrochen. Am Ortseingang weist ein leicht verblasstes Schild auf die Herkunft des Pop-Art-Künstlers hin. In dem hohen Gras und den wuchernden Hecken wirkt es merkwürdig verlassen. Ansonsten scheint sich in diesem malerischen Ort in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert zu haben. Kleine Steinhäuser aus dem vorigen Jahrhundert säumen die Straße. Keine Menschenseele ist zu sehen, einzig ein streunender Hund treibt sich träge auf dem schmalen Streifen Wiese entlang der Fahrbahn herum.
 
Auf der Suche nach Andy Warhols Spuren wollen wir auf dem städtischen Friedhof die Grabsteine der Familie Warhola finden. Hinter einer dichten Wand aus hohen, dunklen Bäumen dringen Stimmen zu uns herüber. Natália spricht zu der Gruppe Menschen im Garten auf ruthenisch, die Sprache der Russinen. Sie fragt, ob sie uns den Weg zum Friedhof von Miková zeigen können. Die Bewohner rufen uns sogleich zu sich herein. Zwei Männer mit karierten Hemden und eine Frau sitzen auf der Bank und trinken gemütlich ein Nachmittagsbier. Auf die Frage, ob es noch Verwandte von Andy Warhol in dem Ort gebe, zeigt der mittlere Herr mit dem Finger stolz auf seinen Bauch. „Janko, sein Cousin höchstpersönlich.“ 


Ján Zavacký stellt sich in einem Interview, welches wir auf diese Seite stellen dürfen, als der einzige, noch im Ort lebende Cousin vor. Andy selbst sei er zwar nie persönlich begegnet, dafür aber seinen Brüdern John und Paul, als sie anlässlich der Eröffnung des Museums nach Medzilaborce kamen. Er bedauert, dass das Warhol Museum nicht in Miková stehe. Am Ende lässt er sich über die Vorzüge des Kommunismus aus. Im Anschluss führt er uns zum Friedhof von Miková. Wir stellen bald fest, dass nahezu jedes zweite Grab den Namen „Warhola“ bzw. „Zavacký“ trägt.

Aussicht vom Friedhof auf den Ort von Miková
Der Mann zeigt uns auch das Grundstück, auf dem einst das Geburtshaus Andrej Warholas, des Vaters des Künstlers, stand. Den Grundriss des ursprünglichen Steinhauses aus dem 19. Jahrhundert können wir uns heute nur noch anhand des Neubaus vage vorstellen. Hinter dem Haus erstrecken sich kilometerweit Wiesen, die in sanften, bewaldeten Hügeln des nahen Mittelgebirges münden. Rechts neben dem Steinhaus entdecken wir einen quadratischen Kasten aus verwittertem Holz. Es ist der verschlossene Zugang zum noch existierenden Brunnen, wie uns Ján Zavacký erklärt. Mit feierlicher Miene verkündet er: „Aus diesem Brunnen haben einst noch Andys Eltern getrunken!“

ehemaliges Grundstück von Warhols Eltern mit zugedecktem Brunnen
Wie Pioniere fühlen Natália und ich uns trotzdem nicht, denn gleich im Anschluss sagt der ältere Herr im Nebensatz, er habe schon etliche Medienteams an diesen Ort geführt. – Wie wahr! Kurz nach meiner Heimkehr nach Košice erkenne ich ihn im Dokumentarfilm „Absolut Warhola“ von Stanislaw Mucha wieder, nur um einige Jahre jünger und mit etwas weniger rundlichem Bauch.

Auch Košice, die diesjährige Kulturhauptstadt, möchte sich ein wenig im Glanz des Künstlers sonnen. Anfang des Monats fand eine Pop-Art-Party zu seinen Ehren statt. Im Schaufenster der Konditorei Aida prangt seit Wochen ein Plakat mit der wohl berühmtesten Konserve der Welt. Und im Wachsfigurenmuseum im Urbanturm in Košice steht unweit des ehemaligen Präsidenten Rudolf Schuster auch eine Figur des Künstlers. Darüber, ob sich Andy Warhol das wohl gewünscht hätte, können wir nur Vermutungen anstellen. Der Kontrast zwischen dem ostslowakischen, teils ländlichen Charme und dem schrillen Kult um seine Person hätte den Künstler selbst vermutlich erheitert.

Wachsfigur Andy Warhols im Urbanturm in Kaschau

Nachtrag
Der Dokumentarfilm „Absolut Warhola“ des Regisseurs Stanisław Mucha hier zu sehen.

Ein Kurzbeitrag über die russinische Minderheit, Medzilaborce und Miková ist auf minet-TV abrufbar.

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