Vor nicht allzu langer Zeit
besuchte ich im Nordosten der Slowakei die kleine Ortschaft Miková. Die
150-Seelen-Gemeinde liegt rund 7 Kilometer von Medzilaborce entfernt, versteckt
in einer bewaldeten, nahezu unberührten Hügellandschaft der Niederen Beskiden.
Aus Miková stammen Andy Warhols Eltern Andrej und Júlia Warhola (geb. Zavacká).
Will man sich in dieser Region
auf die Spuren Andy Warhols begeben, muss man nicht allzu lange suchen. Bereits
bei meiner Ankunft in der nächstgrößeren Stadt Medzilaborce begrüßt mich auf
einer Tafel das in knalliges Gelb getauchte Konterfei Andy Warhols. Es wirbt für
die schräg gegenüber stehende „Penzión Andy“. An jeder Ecke weisen Schilder auf den berühmtesten Sohn der Region hin.
Die Einwohner von Medzilaborce
beobachten mit Verwunderung den Rummel um diese fremde Berühmtheit mit
russinischen Wurzeln, die in ihrem Viertel nahezu jeden Laternenpfahl schmückt. Andy Warhol ist hier weder geboren, noch setzte er Zeit seines Lebens je
einen Fuß in die Gegend.
Als ich mit meiner russinischen
Freundin Natália auf den Eingang des „Museums moderner Kunst Andy Warhols“ zugehe, beäugt uns auf dem großzügig betonierten Vorplatz eine Handvoll
männlicher Gestalten. Sie wollen sofort von uns wissen, woher wir kommen. In
der beschaulichen Ortschaft Medzilaborce spricht sich schnell herum, wenn mal
wieder eine ausländische Touristengruppe aus „dem Westen“ den weiten Weg
hierher gefunden hat, um den gigantischen Würfel namens „Museum moderner Kunst Andy Warhols“ zu besichtigen.
Viele der knapp 7000 Menschen in Medzilaborce haben das Museum seit seiner Gründung von vor 22 Jahren noch nie von innen gesehen, wie mir die Mutter von Natália berichtet. Dabei ist es das einzige Museum in ganz Europa, welches so gut wie ausschließlich Andy Warhols Werke in seiner ständigen Sammlung ausstellt. In Pittsburgh, Andys Geburtsort im US-Bundesstaat Pennsylvania, wurde erst drei Jahre später, im Jahr 1994, das Andy Warhol Museum, eröffnet.
Hier in Medzilaborce sind wir
heute mit zwei weiteren Neugierigen die einzigen Besucher. Wir steigen eine
bunt geblümte Treppe hinauf und stoßen auf der ersten Etage auf persönliche
Gegenstände des Künstlers. Seine Brille, sein Taufhemd, persönliche Fotografien
und auch sein Fotoapparat sind hier ausgestellt. Etwas unauffällig an einer
Eckwand erblicke ich Werbekampagnen für vergangene Volkszählungen in der
Slowakei. Diese wollen mit Hilfe Andy Warhols die Menschen im Nordosten des
Landes davon überzeugen, sich zu ihrer russinischen Identität zu bekennen.
Ob sich der Künstler Zeit seines
Lebens wirklich selbst zu seinen russinischen Wurzeln bekannt hätte, ist
fraglich. „I come from nowhere,“ war Andys berühmte Floskel auf die Frage nach seiner Herkunft.
Wir betreten zahlreiche
abgedunkelte Säle. Erst im Inneren des Museums wird mir bewusst, wie groß das
Gebäude und die Sammlung Andy Warhols in Medzilaborce wirklich sind. Überall
prangen seine Bilder an den Wänden, selbst die Tapeten sind bunt gemustert mit Ikonen
oder dem Gesicht des Künstlers. Die schrillen Farben, die sich immer
wiederholenden Motive haben eine meditative, fast einschläfernde Wirkung auf
mich. – Oder liegt dies am fehlenden Tageslicht?
Eine Stunde später machen wir uns
auf nach Miková. Von hier sind Andy Warhols Eltern zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in die USA aufgebrochen. Am Ortseingang weist ein leicht
verblasstes Schild auf die Herkunft des Pop-Art-Künstlers hin. In dem hohen
Gras und den wuchernden Hecken wirkt es merkwürdig verlassen. Ansonsten scheint
sich in diesem malerischen Ort in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert
zu haben. Kleine Steinhäuser aus dem vorigen Jahrhundert säumen die Straße.
Keine Menschenseele ist zu sehen, einzig ein streunender Hund treibt sich träge
auf dem schmalen Streifen Wiese entlang der Fahrbahn herum.
Auf der Suche nach Andy Warhols
Spuren wollen wir auf dem städtischen Friedhof die Grabsteine der Familie
Warhola finden. Hinter einer dichten Wand aus hohen, dunklen Bäumen dringen
Stimmen zu uns herüber. Natália spricht zu der Gruppe Menschen im Garten auf
ruthenisch, die Sprache der Russinen. Sie fragt, ob sie uns den Weg zum
Friedhof von Miková zeigen können. Die Bewohner rufen uns sogleich zu sich
herein. Zwei Männer mit karierten Hemden und eine Frau sitzen auf der Bank und
trinken gemütlich ein Nachmittagsbier. Auf die Frage, ob es noch Verwandte von
Andy Warhol in dem Ort gebe, zeigt der mittlere Herr mit dem Finger stolz auf
seinen Bauch. „Janko, sein Cousin höchstpersönlich.“
Ján Zavacký stellt sich in einem
Interview, welches wir auf diese Seite stellen dürfen, als der einzige, noch im
Ort lebende Cousin vor. Andy selbst sei er zwar nie persönlich begegnet, dafür
aber seinen Brüdern John und Paul, als sie anlässlich der Eröffnung des Museums
nach Medzilaborce kamen. Er bedauert, dass das Warhol Museum nicht in Miková
stehe. Am Ende lässt er sich über die Vorzüge des Kommunismus aus. Im Anschluss
führt er uns zum Friedhof von Miková. Wir stellen bald fest, dass nahezu jedes
zweite Grab den Namen „Warhola“ bzw. „Zavacký“ trägt.
Aussicht vom Friedhof auf den Ort von Miková |
Der Mann zeigt uns auch das
Grundstück, auf dem einst das Geburtshaus Andrej Warholas, des Vaters des Künstlers,
stand. Den Grundriss des ursprünglichen Steinhauses aus dem 19. Jahrhundert können
wir uns heute nur noch anhand des Neubaus vage vorstellen. Hinter dem Haus
erstrecken sich kilometerweit Wiesen, die in sanften, bewaldeten Hügeln des
nahen Mittelgebirges münden. Rechts neben dem Steinhaus entdecken wir einen
quadratischen Kasten aus verwittertem Holz. Es ist der verschlossene Zugang zum
noch existierenden Brunnen, wie uns Ján Zavacký erklärt. Mit feierlicher Miene verkündet
er: „Aus diesem Brunnen haben einst noch Andys Eltern getrunken!“
ehemaliges Grundstück von Warhols Eltern mit zugedecktem Brunnen |
Wie Pioniere fühlen Natália und
ich uns trotzdem nicht, denn gleich im Anschluss sagt der ältere Herr im
Nebensatz, er habe schon etliche Medienteams an diesen Ort geführt. – Wie wahr!
Kurz nach meiner Heimkehr nach Košice erkenne ich ihn im Dokumentarfilm
„Absolut Warhola“ von Stanislaw Mucha wieder, nur um einige Jahre jünger und
mit etwas weniger rundlichem Bauch.
Auch Košice, die diesjährige
Kulturhauptstadt, möchte sich ein wenig im Glanz des Künstlers sonnen. Anfang
des Monats fand eine Pop-Art-Party zu seinen Ehren statt. Im Schaufenster der
Konditorei Aida prangt seit Wochen ein Plakat mit der wohl berühmtesten
Konserve der Welt. Und im Wachsfigurenmuseum im Urbanturm in Košice steht
unweit des ehemaligen Präsidenten Rudolf Schuster auch eine Figur des
Künstlers. Darüber, ob sich Andy Warhol das wohl gewünscht hätte, können wir
nur Vermutungen anstellen. Der Kontrast zwischen dem ostslowakischen, teils
ländlichen Charme und dem schrillen Kult um seine Person hätte den Künstler selbst
vermutlich erheitert.
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