Foto: Mathias Budzinski |
Seit meiner Ankunft in meiner neuen, alten,
Heimat säuselt er um meine Ohren. Es ist der Nordwind,
der fortwährend in den Kaschauer
Talkessel hineinzieht. Košice ist umgeben von einer grünen
bewaldeten Hügellandschaft, die die Stadt schützend wie eine Burg umschließt
und den warmen Föhn einfängt.
Der Wind, der Wind. Wie ein treuer
Begleiter durchzieht ein luftiger Strom die Gässchen und Plätze der Innenstadt.
Mal ist er sanftmütig, dann flüstert er heimlich vor sich hin, mal ist er impulsiv,
dann rauscht und fegt er wild über die langen Korridore bis in den hintersten
Winkel. Mal pustet er inbrünstig herab auf den Marktplatz oder kitzelt verspielt
wie eine Feder über die Haut.
Er ist nicht zu vergleichen mit
Hamburgs böiger, manchmal beißender Brise. Der angenehme Luftstrom wanderte
schon seit jeher durch das Kaschauer Tal. Auch meine Mutter ist mit ihm seit
Kindertagen vertraut. Sie empfahl mir eines ihrer liebsten Kinderbücher zu
lesen, welches den Wind durch die Augen eines Kindes beschreibt: „Betka a
Veterné mesto“ (Betka und die windige Stadt). In diesem Roman beschreibt Božena Mačingová (*1922), eine
slowakische Kinder- und Jugendbuchautorin, das Leben des Grundschulmädchens Betka
in ihrer Heimatstadt Košice.
Betka begleitet der Wind Tag für
Tag, bis in ihren nächtlichen Schlaf hinein. In ihrem Traum fliegt sie über die
Dächer und die Kirchtürme der Stadt. Der rauschende Wind macht manchen Kindern
Angst. Doch für das Schulmädchen ist er ein ständiger Begleiter, genauso wie
für mich: „Er singt vor sich hin. Man
muss ihn nur verstehen, “ sagt Betka, die Heldin des Romans an einer Stelle.
Der Kinderroman „Betka a Veterné
mesto“ (Betka und die windige Stadt) aus dem Jahre 1983 ist heute nur noch im
Antiquariat zu bekommen. Ich erwarb ihn beim Onlinehändler „ČierneNaBielom“ für
antiquarische Bücher. Ein Stempel „Klub abstinentov“ im Buch weist auf einen eigentümlichen
Vorbesitzer hin…
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